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Umarmung der Schatten

Mein Herz raste, als die eisigen Krallen des Todes mir zu nahe kamen.

Kalt, kalt, kalt. Ich schrie, aus Verzweiflung und aus Furcht. Nach Hilfe und aus Agonie, doch niemand wollte meinen Schrei hören. Beinahe war es, als fiele ein Baum inmitten des Waldes und keiner war da, um es mitzubekommen.

Doch ich schrie nicht alleine, ohne dass jemand auch nur die Möglichkeit hatte, es zu hören, nein. Ich schrie inmitten einer Menschenmenge, die mich nicht einmal beachtete. Die leeren Blicke der Menschen richteten sich auf alles, nur nicht auf mich.

Es war, als existierte ich nicht, als wollte niemand, dass ich existiere.

Kalt, kalt, kalt.

Gnadenlos kalt berührte der Tod meinen Arm und ich riss mich mit einem weiteren Schrei aus den Fängen der unaufhaltsam näherkommenden Schwärze.

„Hilfe! Hilfe, verdammt!“ Tränen rannen über meine Wangen, froren in der Kälte des sich nähernden Todes beinahe sogar ein. Alles was ich tun konnte, war zu rennen. So schnell wie möglich, so weit weg wie möglich.

Meine Tränen sanken in den Boden, während mich die Menschen um mich herum nach wie vor nicht sahen. Sie sahen nicht einmal den Tod, der es irgendwie schaffte, niemand anderes zu berühren, als mich.

Ich war das Ziel.

Eisige Furcht zog sich wie eine Schicht Frost über meinen Geist und meinen Körper. Meine Hände bebten, als ich immer langsamer wurde; meine Glieder wollten mir nicht mehr gehorchen. Jeder Schritt wurde beschwerlicher, jeder Atemzug fühlte sich an, als würde ich ersticken und jeder Herzschlag schien der letzte zu sein.

In meiner Eile schaffte ich es gerade so, nicht in einen Fahrradfahrer zu stürmen, der mit gesenkten Schultern und einem nach unten gerichteten Blick über die Straße trottete.

Du kannst nicht ewig rennen“. Seine Stimme war ein Chor aus hunderten. Kaum mehr als ein Windhauch und dennoch so unerträglich laut wie das Peitschen und Donnern einer Sturmbö.

Gegen meinen Willen hielt ich an, drehte mich um und schüttelte irritiert den Kopf. „Hilf mir! Wenn du weißt, wovor ich fliehe, dann hilf mir doch!“ Meine Stimme war ein Krächzen, geschunden von jedem Schrei und jedem verzweifelten Schluchzen.

Der Fahrradfahrer hielt an und hob den Kopf, bevor er ihn langsam in meine Richtung drehte. Ein ersticktes Keuchen brach über meine Lippen und ich machte einen Schritt rückwärts.

Leere Augenhöhlen, aus denen träge dunkles Blut floss, starrten mir entgegen, während seine aufgeplatzten Lippen karikativ weit geöffnet waren. Beinahe schien es, als hingen seine Kiefer nicht mehr aneinander und auch aus seinem Mund tropfte stetig Blut auf den Boden.

Ich wagte es nicht, den Rest seines Körpers zu betrachten, wimmerte leise und schlang meine Arme um meinen Oberkörper.

„Hilfe… Hilfe… Hilfe…“

Doch es kam keine Hilfe. Stattdessen krochen die schwarzen Schatten des Todes über die Erde, umhüllten den Fahrradfahrer und verschlangen ihn, ohne dass ihm die Gelegenheit zur Flucht gegönnt wurde. Als sie sich zurückzogen, war nicht einmal das Fahrrad mehr da.

Ein verzerrter, lauter Schrei entfuhr mir und ich stürmte augenblicklich wieder los. Ich versuchte, die Menschen um mich herum auf den Umstand aufmerksam zu machen, versuchte, an ihnen zu zerren und sie zu schütteln, doch sie würdigten mir nicht einmal eines Blickes. Es war, als glitten meine Hände einfach durch ihren Körper, denn warum sonst sollten sie mir nicht helfen wollen? Waren all diese Menschen etwa auf Seiten des Todes? Wollten sie alle mein Ende? Oder waren meine Stimme und mein Klagen inzwischen zu schwach und leise, als dass man sie hören könnte?

Verdammt, ich wusste nicht einmal, wieso mich der Tod jagte! Alles, was ich wusste, war dass aus dem Nichts plötzlich diese Schwärze über mir ragte und versucht hatte, mich zu fesseln. Und seitdem rannte ich.

Kalt, kalt, kalt. Ich wich den Menschen aus, die mich in ihrer Einfältigkeit ignorierten, die mich mit ihrer Ignoranz verspotteten und in ihrem Spott dem Tode auslieferten, als sei ich ein Niemand. Als sei ich es nicht Wert, gerettet zu werden. Als seien sie etwas Besseres.

Ich fletschte die Zähne, wischte mir mit einer viel zu trägen Handbewegung die Tränen aus dem Gesicht und fasste mir an die schmerzende Brust. Neben der Furcht, die mein Herz zu einem Eisklumpen machte, mischte sich nun auch Wut, die sich in meinem Magen wie ein loderndes Feuer ausbreitete und bald auch mein Herz erreichte. In der Hitze schwoll es an und raste nun nicht mehr nur, weil ich fliehen wollte.

Der Frost, durch den meine Gedanken und meinen Körper eben erst zu erstarren gedroht hatten, schmolz dahin, wurde zu nichts. Kalt, kalt, kalt.

Wieder umschlang mich das schwarze Eis des Endes und wieder riss ich mich davon.

Blut sank ebenso in die Erde ein, wie meine Tränen, doch das tat es bereits lange. Tiefe Schnitte und Wunden ließen meinen Körper sowohl brennen, als auch taub kribbeln, doch das sollte mich nicht an meiner Flucht hindern. Ich würde es schaffen, in Sicherheit zu geraten, würde es schaffen, dem Tod zu entfliehen, würde es schaffen, mich selbst zu retten.

Meine Nackenhaare stellten sich auf und mein gesamter Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen, als sich die kalten Schatten wieder in meine Nähe wagten, doch diesmal durfte ich nicht rennen. Wenn ich weiter floh, würde ich noch wie der Fahrradfahrer enden.

Das Schlucken fiel mir schwer, doch ich drehte mich um, erblickte die alles verzehrende Schwärze und begann, zu schreien. Ich schrie, wie ich noch nie geschrien hatte. Mein Hals meldete sich mit Schmerzen, meine Lunge protestierte und meine ohnehin schon rissigen Lippen platzten ebenso auf wie die Lippen des Verschlungenen.

Die Erde vibrierte unter meinem Schrei, die Schatten hielten inne und selbst die Menschen um mich herum hoben verwirrt die Köpfe. Kalt, kalt, kalt.

Während die Schatten vor mir zögerten, spürte ich, wie hinter mir weitere Schatten auftauchten. Das schwarze Eis des Todes breitete sich aus, tat alles, um mich zu fangen, doch ich würde es nicht zulassen. Ich würde nicht loslassen.

„Nein! Mich wirst du nicht kriegen!“

Wieder schrie ich, bis meine Mundwinkel langsam aufrissen, so weit wie ich meinen Mund öffnete.

Die Menschen begannen, zu tuscheln. Sie entfernten sich.

Nein.

Ich würde sie nicht entkommen lassen. Jetzt, wo sie wussten, dass ich da war, würden sie auch da bleiben.

Langsam lief ich auf sie zu, öffnete dem Mund für einen weiteren Schrei. Kalt, kalt, kalt.

Sie umschlangen mich so zahlreich wie sie vorhin den Radfahrer umschlungen hatten. Wieder schrie ich, während ich von der Schwärze langsam vereinnahmt wurde. Doch jeder Schlag und jeder Tritt waren nun Zwecklos. Fast schien es, als würde jeder Versuch, mich zu wehren, darin resultieren, dass die Griffe fester wurden.

„Nein! Hilfe! HILFE!“ Meine Schreie wurden lauter, verzweifelter. Schemenhaft konnte ich hinter den Schatten erkennen, wie die Menschen nach und nach nur den Kopf schüttelten und weitergingen, als sei nie etwas gewesen. Weinend und schluchzend riss ich die Augen auf und streckte meine Hände nach ihnen aus.

Meine Hände, an denen teilweise Finger fehlten. Meine Arme, aus denen an einigen Stellen die Knochen herausstachen. Ich wollte nicht hinsehen, wollte die Wunden nicht wahrhaben, also schloss ich im Tod die Augen. Ich erwartete weiteren Schmerz, erwartete noch mehr Kälte.

Doch anstelle noch mehr des harten Eises spürte ich eine sanfte Berührung. Eine… Umarmung?

Sie war kühl, fast so kalt wie die Schatten um mich herum. Und dennoch schlang ich die Überreste meiner Arme um die Person, die mit mir in der Schwärze stand.

„Du weißt, dass du hier nicht bleiben kannst, oder?“

Die Stimme einer Frau.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss noch so viel tun, muss noch so viel sehen! Das war doch nur ein Unfall!“

Sie schwieg, als mir nach und nach bewusst wurde, warum mir der Tod gefolgt war.

Nicht nur meine Arme waren ramponiert. Mein gesamter Körper war es. „Liegt mein Körper noch im Wagen?“

Meine Ampel war grün. Doch in der Nacht ignorierte so manch LKW-Fahrer die eigenen roten Ampeln.

„Das… Was davon noch zu bergen war, nicht mehr. Aber ich schätze, ein paar Hautfetzen und Knochensplitter liegen noch darin. Du bist ziemlich lange geflohen“.

„Ich will nicht, dass es endet“.

„Das will niemand“.

Die leisen Gespräche und das Geräusch zahlreicher Schritte verstummten und tauschten ihre Stelle mit dem Vakuum der Stille.

Ich öffnete die Augen. Statt der Schwärze von eben umgab mich nun ewiges Grau. Und darin war nicht nur ich, sondern weitaus mehr, die mein Schicksal teilten. Ruhig standen sie da, in einer ewigen Meditation, auf etwas wartend, das ihnen das Leben niemals hatte geben können.

Erlösung.

Ich sah zur Frau, die mich bis eben umarmt hatte. Kinnlanges, schwarzes Haar umrahmte ihr blasses Gesicht und hellgraue Augen sahen mich mit einem sanften, aber gleichzeitig ernsten Ausdruck an.

„Bist du bereit, dich von den Fesseln des Lebens zu lösen?“

Die Frau hielt mir eine Hand hin, auf der eine kleine, schwarze Kugel lag. Wenn ich diese nahm… Mein Blick schweifte zu all den ruhenden Seelen, die alle einen ebenso schwarzen Gegenstand an ihrem Körper trugen.

Meine Hand schwebte zögerlich über der Kugel.

„Sag mir wenigstens noch, wie du heißt“.

„Erst die Kugel!“

Die schwarz gekleidete Frau zog ihre Augenbrauen hoch und lächelte dann freundlich, als ich die kleine Kugel an mich nahm. Keine Sekunde später wurde mein Kopf schwerelos und meine Lider träge, als ich ein letztes Mal zur Frau sah. „Bist du vielleicht der Sensenmann?“

Sie schwieg kurz und trat dann einen Schritt zurück. Die Schatten, die mich bis vor kurzem noch in eisige Kälte geschlossen hatten, umzüngelten sie wie brennende Flammen. „Nicht ganz. Ich arbeite nur für einen. Und… mein Name ist Onyx“.

einzel-creepypasta/umarmung_der_schatten.txt · Zuletzt geändert: 13.03.2022 20:46 von lou