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geschichte:krealithikum:kapitel_12

Der Tunnel endete wie immer abrupt. Das letzte Stück war ich so langsam gegangen, dass ich fast stehen geblieben war.

Noch immer tönte kein Geräusch aus der Kuppelgrotte und das bereitete mir panische Angst. Meine Fantasie schlug Kapriolen, halb erwartete ich aus dem toten Winkel am Ende des Tunnels angegriffen zu werden, doch nichts geschah.

Das Licht der Kerze malte einen goldenen Kreis um mich herum.

Im weichen Schein des Feuers bemerkte ich, dass die Ritzungen der Menhire im gleichen goldenen Schimmern glühten, wie die Säulen am Eingang des Tunnels.

Als Volker sie mir erstmalig zeigte, hatte er Schwierigkeiten, sie mit der LED-Lampe sichtbar zu machen, erinnerte ich mich.

Was auch immer hier vorging, mit Vernunft und Verstand war das nicht mehr zu erklären. Irgendetwas zerbrach in mir bei dieser Erkenntnis und ich nahm die Erfahrung einfach an, als etwas Unerklärliches, über das ich mir später Gedanken machen würde.

Von dem Archäologen fehlte immer noch jede Spur.

Ich ließ den Blick durch die Kuppelgrotte gleiten. Das Licht der kleinen Kerze reichte weiter als erwartet. Ich konnte viele der Wandmalereien deutlich erkennen, sogar das Rund der Menhire glühte noch am äußersten Rand, wo die Grotte wieder in diffuses, jetzt harmloses Zwielicht versank. Einzig das Innere des Steinkreises wurde nicht vom Schein des Feuers berührt und mein Gefühl riet mir, das Rund nicht zu betreten. Dieses Mal lauschte ich genau auf meine Intuition und nahm mir fest vor, auch danach zu handeln.

Ich trat nahe an die bemalte Felswand, um die Distanz zum schattenbevölkerten Ring so gut wie möglich zu wahren, ging in Hocke und platzierte das Teelicht vorsichtig neben mir.

Dann nahm ich ein frisches Streichholz aus der Schachtel und schnippte es über die Anzündfläche Richtung Steinkreis.

Der erste Versuch schlug fehl, weil der Schwefelkopf sich nicht entzündete.

Das zweite Streichholz brach in der Mitte durch.

Doch der dritte Versuch glückte. Das Streichholz sprang zwischen den Hinkelsteinen hindurch, fiel zu Boden und flammte im Innern des Steinkreises auf. Für einen grauenhaften Augenblick hatte ich den Eindruck, die Schatten würden zischend verdampfen. Das Geräusch erinnerte mich an das Fauchen wütender Schlangen. Etwas anderes erschreckte mich jedoch viel mehr, entlockte mir einen unbedachten Schrei, der gebrochen von den Wänden zurückgeworfen wurde.

In dem kurzen Aufflackern der kleinen Streichholzflamme glaubte ich Volker zu erkennen, wie er auf dem Sockel stand und die Statur umschlang.

Ekel und Abscheu wallten in mir hoch, dicht gefolgt von einer Furcht, die ich in ihrer überwältigenden Heftigkeit weder verstehen, noch kontrollieren konnte.

Die Flamme verlöschte und die viskose Finsternis kehrte in den Steinkreis zurück.

Ein schleifendes, rhythmisches Geräusch ertönte, dann hörte ich Volker seufzen, als kehre er aus einer tiefen Trance zurück.

„Du hast Licht in die Höhle gebracht“, stellte er fest. Es klang tadelnd. Das Gefühl einer drohenden Gefahr wuchs ins Unermessliche. Ich musste hier raus, aber ich wollte Volker nicht hier zurücklassen. Nicht an diesem Ort und schon gar nicht in der Nacht.

Wie konnte ich ihn nur überzeugen?

„Ich habe dich gesucht“, begann ich. Meine Stimme klang dünn und unsicher.

„Du hast mich gefunden“, entgegnete er frustriert.

„Ich dachte, wir trinken ein Bier und du erzählst mir von deinen Erkenntnissen“, versuchte ich den Archäologen zu ködern.

Volker lachte kurz trocken und gehässig auf.

Ich fand es langsam unerträglich, dass ich ihn im Innern des steinernen Rings nicht sehen konnte. Stand er noch bei dem abscheulichen Götzenbildnis oder bewegte er sich auf mich zu? Musste ich einen Angriff fürchten?

Wie groß war die Gefahr, vor der mich meine Intuition warnen wollte?

Ich griff in die Streichholzschachtel und zog ein neues Hölzchen.

„Lass doch das Licht aus“, klang es genervt aus der wabernden Finsternis.

In Gedanken wägte ich meine Chancen ab, ihn zu überzeugen oder alternativ mich selbst in Sicherheit zu bringen. Doch mein Gewissen zwang mich dazu, ihm noch eine Chance geben, mit mir ins Hotel zurück zu kehren.

„Wenn du mitkommst, zünde ich dieses Streichholz nicht an.“

Der Archäologe gab einen lang gezogenen Laut von sich, der ein Gähnen oder ein Stöhnen sein konnte.

„Also gut“, lenkte er nach einem Moment der Stille ein, „Ich komme ja schon.“

Seine Silhouette tauchte zwischen den Menhiren auf und mir schien als glühten die Ornamente etwas heller, während die rauchigen, substanziellen Schatten zurück gehalten wurden und von ihm abfielen. Dann stand Volker wieder vor mir, wie ich ihn kannte.

Mit einem schiefen Grinsen im Gesicht.

„Was hockst du denn da auf dem Boden? Planst du eine neue Ausgrabung?“, witzelte er.

Der plötzliche Gemütswechsel verstörte mich mehr als wenn er stattdessen seine unheimliche Laune beibehalten hätte.

„Schon möglich“, entgegnete ich etwas schnippisch, um die Ironie meiner Aussage zu unterstreichen. „Na komm, ich bin am Verdursten“, drängelte Volker überraschend und ich ließ mich nicht zwei Mal bitten, die grauenhafte Höhle zu verlassen.  

geschichte/krealithikum/kapitel_12.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:17 von lou