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geschichte:krealithikum:kapitel_13

Als wir die Höhle verließen, war es stockfinster geworden.

Es schauderte mich, weil ich diesen Umstand zu vermeiden versucht hatte.

Volker schien sich im Dunkeln nicht unwohl zu fühlen, aber das überraschte mich nach dem Erlebnis in der Grotte überhaupt nicht.

Er war überdreht und doch gleichzeitig benommen, wirkte irgendwie rastlos und machte insgesamt den Eindruck eines verliebten Schuljungen auf mich, was ich in letzter Konsequenz wieder verstörend beunruhigend fand. Volker benahm sich wie unter Drogen.

Ich überredete ihn geschickt, seinen Wagen stehen zu lassen und bei mir mit zu fahren, weil ich sicher gehen wollte, dass er einerseits keinen Unsinn anstellte, aber vor allem nicht heimlich wieder zurück zur Höhle fuhr. Der Archäologe erhob nicht mal Einwände.

Später in der Kneipe ließ ich ihn reden, hörte aber kaum zu, weil ich zu sehr damit beschäftigt war mein Erlebnis zu verarbeiten.

Nach nur einem Bier schützte ich eine überwältigende Müdigkeit vor, um mich ins Bett davon zu stehlen.

Volker bemerkte weder meine Unaufmerksamkeit, noch die Ausrede, blickte nur ein wenig enttäuscht, doch mit der Aussicht bald wieder in die Höhle zu dürfen, beschwichtigte ich ihn erneut.

Am nächsten Tag trudelte die Zusage ein, dass Volkers angeforderter Experte bewilligt worden war. Wir verbrachten einen weiteren müßigen Tag mit Recherche und dem einen oder anderen Bier. Der Archäologe freute sich wie ein kleiner Schneekönig, dass die Statur endlich freigelegt werden würde, während ich mir Mühe geben musste, mir die Abscheu nicht anmerken zu lassen.

Inzwischen vollzog sich ein unmerklicher Wandel in meiner Beziehung zu dem Archäologen, denn nach dem Erlebnis in der Grotte konnte ich ihn nicht mehr als vertrauten Menschen wahrnehmen. Ich spürte, dass ich ihm nicht mehr vorbehaltlos meine Bedenken in Bezug auf die Ausgrabung mitteilen konnte und behielt alle Zweifel für mich.

Insgesamt verstrich der Tag allerdings in eintöniger Ereignislosigkeit.

Gegen Abend meldete die Polizei, dass der Tatort wieder freigegeben sei und ich rief das Team für den nächsten Tag wieder zusammen, um die neue Lichtinstallation in der Höhle aufzustellen, die über die freien Tage ebenfalls eingetroffen war.

Es dauerte fast einen ganzen Tag, um die Gerätschaften in der Höhle aufzubauen und es gelang mir erneut, Volker mit einer List zu überreden, sein Auto noch eine weitere Nacht an der Ausgrabung stehen zu lassen und bei mir mit zu fahren.

Ich konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, doch letztendlich willigte er ein.

Der darauffolgende Morgen präsentierte sich mit strahlendem Sonnenschein und eisblauem Himmel. Eine Handvoll Schäfchenwolken segelte vorüber, als das Team vollständig zur Ausgrabungsstätte aufbrach.

Vor Ort erwartete uns bereits der Experte. Er reichte jedem Teilnehmer einzeln die Hand und stellte sich mit Gerd Köster vor. „Aber ihr könnt einfach Köster zu mir sagen, das macht eigentlich jeder. Bei Gerd fühl ich mich oft gar nicht angesprochen, also gewöhnt euch gleich an das „Ey Köster!““, lächelte er. Der Mann war mir auf Anhieb sympathisch, obwohl ich seine Aufgabe weiterhin grässlich fand. Etwas gedrungen von der Statur, lichter werdendes Haar, aber mit einem kräftigen Händedruck, der harte ehrliche Arbeit spiegelte.

Ich führte ihn auf der Ausgrabung herum, während das Team sich an seine jeweiligen Aufgaben machte. Die Säulen faszinierten Köster auf Anhieb, sodass er den Handabdrücken im Tunnel kaum Beachtung schenkte. Als wir die Kuppelgrotte betraten, stieß er einen Laut der Überraschung aus. Bisher hatte jeder neue Besucher auf diese Weise reagiert, stellte ich fest.

Im neuen Licht der Flutlichtlampen traute ich mich, das Rund zu betreten und zeigte dem Restaurator antiker Statuen seinen neuen Arbeitsplatz.

Das Götzenbildnis nötigte ihm einiges Erstaunen, Ehrfurcht, aber auch eine gehörige Portion Abscheu ab.

Ich hatte den Stein gewordenen Schrecken nicht mehr angesehen, seit ich beim ersten Mal in Ohnmacht gefallen war.

Unter diesen Umständen kam ich jedoch kaum drum herum.

Köster schien seinerseits ebenfalls Schwierigkeiten zu haben, den Blick auf die Figur zu heften. Er schien immer wieder abzugleiten, wie Wasser von einer imprägnierten Oberfläche. Innerlich beruhigte mich das ungemein, weil es für mich bedeutete, dass meine Intuition funktionierte und ich Recht daran tat, ihr zu folgen.

Volker war völlig aus dem Häuschen, hatte bereits Lampen verrückt, um dem Restaurator so viel Arbeitslicht wie möglich zu verschaffen.

Wir besprachen noch grob die Vorgehensweise, bevor der Archäologe sich in Schwärmereien über die Statur erging, immer wieder auf bestimmte Bereiche der grauenerregenden Skulptur deutete und Köster voll für sich in Anspruch nahm.

Anfangs versuchte ich dem Gespräch zu folgen doch ich scheiterte schnell, weil ich das Götzenbildnis immer noch nicht zur Gänze erfassen konnte.

Wieder hatte ich Schwierigkeiten, die einzelnen Teile der Figur in einen sinnvollen Kontext zu setzen, anstelle loser unzusammenhängender Bildschnipsel.

Zusätzlich hatte ich das unangenehme Gefühl von der Statue beobachtet zu werden. Nicht mit Augen, die wirklich etwas sehen konnten, sondern auf einer tiefergreifenden Ebene, auf der sich Gefühle und Gedanken abspielen. Dort schien mir jeden Tag stärker eine Präsenz zu lauern, die mich aus dem Stein heraus verfolgte.

Eine sehr alte Präsenz, die schon hier gewesen war, als die Menschheit noch jung, unschuldig und unerfahren gewesen war, doch-

Ich musste mich arg zusammenreißen, damit meine Fantasie mir keine Streiche spielte, doch es fiel mir schwer, nachdem ich beschlossen hatte, meinem Instinkt zu vertrauen.

Sobald ich wieder Bewegungen aus dem Augenwinkel bemerkte, verabschiedete ich mich hastig und verließ die Höhle mit einer Ausrede.

Ich schritt durch den dumpfigen Tunnel und kehrte auf den Säulenplatz zurück. Hier stieg mir zum ersten Mal ein sonderbarer Geruch in die Nase.

Süßlich, beißend und irgendwie vergammelt.

Einen Moment lang überlegte ich spöttisch, ob einer der Ausgrabungsteilnehmer vielleicht Schwierigkeiten mit seiner Verdauung hatte, doch verwarf den Gedanken schnell wieder. Litt ich nach all meinen Erlebnissen und Schrecken nun auch noch unter einer olfaktorischen Täuschung? Was immer es war – es musste sich gedulden, denn meine überreizten Nerven benötigten dringend etwas Ruhe, frische Luft und vielleicht einfach nur etwas Sonnenlicht. Außerdem wartete auf meinem Schreibtisch schon wieder geduldig neuer Papierkram auf mich und ich hatte nicht vor, den Stapel wieder in unübersichtliche Höhen wachsen zu lassen.  

geschichte/krealithikum/kapitel_13.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:20 von lou