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geschichte:krealithikum:kapitel_16

Etwas später bestellte ich mir ein Bier bei der blonden Wirtin und verzog mich mit dem Hopfentee in eine Ecke der Kneipe, wo ich meinen Papierkram ausgebreitet hatte.

Mein Sorgenkind war aktuell die Tür, die ich nach der Sabotage in Auftrag gegeben hatte. Die Lieferung verzögerte sich aus unerfindlichen Gründen.

Das passte mir überhaupt nicht, weil Schloss und Riegel vor der unheimlichen Höhle mir ein Gefühl von Sicherheit verschafft hätten, ganz abgesehen von der Gewissheit, dass Volker sich nicht heimlich über Nacht in die Grotte schleichen konnte.

Aber eigentlich war ich nicht in die Kneipe umgezogen, um Organisatorisches zu erledigen.

Mir war eine wahnwitzige Idee gekommen und die wollte ich nicht allein in meinem Zimmer prüfen, sondern in einer Umgebung, in der ich Menschen um mich herum hatte.

Wenn ich meine sonderbaren Erlebnisse mit in die Ausgrabung einbezog – was für ein Bild würde die Höhle dann liefern? Ich hatte immer weniger den Eindruck, dass es sich um eine Kultstätte handelte, denn bisher hatten wir nicht den leisesten Hinweis auf Opfergaben entdecken können. Keine Tonscherben, keine Tierknochen, nichts, was man irgendwie mit Opfergaben in Verbindung bringen konnte.

Beide Höhlen zeigten eindeutige Spuren von Bearbeitung, doch entgegen der sonst üblichen Funde des alltäglichen Lebens, schienen die Erbauer der Stätte hinter sich sorgfältig aufgeräumt zu haben, um selbst keine Spuren zu hinterlassen.

Das war so außergewöhnlich, dass immer noch einige Mitglieder des Ausgrabungsteams nicht von der Echtheit des Fundes überzeugt waren.

Ich nahm mir die Funde einzeln vor und begann mit der Treppe.

Die Stufen waren so gut erhalten, dass man noch Werkzeugspuren unter den Sinterschichten gefunden hatte. Aber alles wirkte neu wie eben erst fertig gestellt, als hätte man die Treppe unverhältnismäßig kurz genutzt, im Gegensatz zu den Mühen, die der Bau der Stufen verursachte. Das nächste Rätsel bestand aus der Frage, wie die Erbauer der Treppe diese angefertigt hatten, denn laut der Datierung kannten die frühen Menschen zu dem Zeitpunkt ausschließlich behauene Steine, mit denen sie Tierknochen bearbeiteten, um Gegenstände des alltäglichen Lebens herzustellen. Die Furchen im Gestein der Stufen deuteten jedoch auf höher entwickelte Werkzeuge hin. Mit Feuerstein konnte man keinen Granitfelsen bearbeiten.

Nichts passte zusammen.

Ich legte den Bericht zur Seite und widmete mich den Säulen.

Das Gestein blieb weiter unbestimmt. Die chemische Analyse des Labors enthielt für mich nur böhmische Dörfer. Aber ich konnte immer noch meine eigenen Beobachtungen beisteuern. Das Material musste auch in den Menhiren zu finden sein, vielleicht eine Art Legierung, denn die Ritzungen verhielten sich wie die Säulen, wenn man sie mit Kerzenlicht anleuchtete, aber die Hinkelsteine bestanden nachweisbar aus Granit. Blieb noch der optische Effekt.

Der Unterschied zwischen der elektrischen Beleuchtung und Feuer war unter anderem in ihrem Lichtspektrum zu finden.

Ich hatte mir ein Handbuch der Flutlichtstrahler besorgt und nachgelesen, dass das Spektrum einen hohen Blau-Anteil besaß während der Rest sich ungefähr gleichmäßig verteilte.

Kerzenlicht hingegen besaß so gut wie gar keinen Blau-Anteil, dafür stieg die Intensität des Spektrums über Gelb und Orange zu einem dominierenden Rot-Anteil an.

Wie würden sich wohl die unerklärlichen Phänomene verhalten, wenn ich eine Infrarot-Lampe nutzte?

„Nabend Brinkmüller“, sagte jemand und riss mich aus meinen Überlegungen. Ich sah auf und erblickte den Geologen. Er hob sein Bier zum Gruß und fragte: „Darf ich mich zu Ihnen setzen? Oder sind Sie beschäftigt?“

Ich lächelte und schob die Unterlagen zu einem unordentlichen Stapel zusammen.

„Wo drückt denn der Schuh?“, kam ich gleich auf den Punkt. Peinlich berührt musste ich mir eingestehen, dass ich seinen Namen vergessen hatte. Aber diese Blöße wollte ich mir nach Wochen gemeinsamer Arbeit nicht geben. Außerdem hatte er sicher ein ernstes Anliegen. Der Geologe hatte sich bisher selten im Hotel blicken lassen.

„Na, das nenn ich mal direkt“, entgegnete er überrumpelt, „Wo soll ich anfangen?“

„Beim Schlimmsten natürlich“, meinte ich einladend, um es ihm es ihm so leicht wie möglich zu machen. Ich sah ihm an, dass er sich unwohl in seiner Haut fühlte.

„Ja gut, also, es geht um Bose, den Archäologen“, seufzte er und sammelte sich kurz, bevor er fort fuhr, „Also es geht mich ja eigentlich nichts an, aber ich habe das Gefühl, dass sein Arbeitspensum zu hoch ist. Der dreht da unten völlig am Rad. Heute zum Beispiel, da war ich der Letzte vom Team, der gegangen ist und hab deshalb noch einen kleinen Kontrollgang durch die Höhle gemacht. Jedenfalls war der Bose immer noch da, ne? Und ich konnte den auch nicht überreden endlich Feierabend zu machen. Hat die ganze Zeit nur geantwortet: „Ich muss das fertig machen.“ Und „Ich bin schon im Verzug.“ Oder „Ich kann mir keine Pause leisten, sonst werde ich nicht rechtzeitig fertig.“ Richtig sauer geworden ist der, als hätte ich seine Alte angefasst. – Aber, Sie sind ja ganz blass geworden. Ist alles in Ordnung?“

„Heißt das, Volker ist jetzt immer noch in der Höhle? Mitten in der Nacht?“

„Joar, Nacht würde ich das vielleicht nicht nennen“, er sah auf seine Armband-Uhr, „Ist ja erst kurz nach acht Uhr. Aber jetzt um die Jahreszeit ist es natürlich schon dunkel draußen.“

Wut stieg in mir auf. „Es ist noch keine drei Stunden her, da habe ich ihm ausdrücklich verboten Alleingänge zu unternehmen und jetzt bringt er so eine Aktion! Ich versichere Ihnen eines: Wenn ich Volker morgen früh sehe, kann er seine Koffer packen. Keine Sorge, dass haben Sie nicht verschuldet. Es ist wirklich genug vorgefallen, dass ich mich eigentlich schon viel früher darum hätte kümmern müssen. Es ist sozusagen überfällig.“, ich sog scharf die Luft ein, um mich wieder etwas zu beruhigen, „Ich muss gestehen, dass ich neben der Sabotage und den ganzen anderen organisatorischen Aufgaben den Mitarbeitern einfach mehr Freiheiten gewährt habe. Aber, dass jemand sich Sachen erlaubt, wie der Volker, das habe ich noch nicht erlebt!“

„Tja, dann“, begann der Geologe betreten und machte Anstalten, aufzustehen. Er schien sich noch unwohler zu fühlen als vorher.

„Sie wollen doch nicht schon wieder gehen?“, fragte ich enttäuscht, „Ich würde die Gelegenheit gerne nutzen, um noch kurz über die Mess-Ergebnisse zu sprechen. Dieser Temperatur-Anstieg, Sie wissen schon. Wie ungewöhnlich ist das? Was glauben Sie, kann die Ursache dafür sein? Eigentlich wollte ich schon vor Tagen mit Ihnen darüber gesprochen haben. Sollte sowas nicht eigentlich unmöglich sein?“

Sein Gesicht hellte sich etwas auf und verdüsterte sich gleich wieder.

Er stellte sein Bier ab und rutschte mit dem Stuhl in eine bequemere Position am Tisch.

Auf einmal wirkte er sehr ernst und ich fühlte, dass dies ein bedeutsames Gespräch werden würde.

geschichte/krealithikum/kapitel_16.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:34 von lou