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geschichte:krealithikum:kapitel_21

Anhaltendes Klopfen weckte mich. Jemand rief meinen Namen. Ich versuchte das Geräusch zu ignorieren, rollte mich enger zusammen und hielt mir die Ohren zu.

„Brinkmüller! Wachen Sie auf! Öffnen Sie die Tür! Hier ist Klaaßen! Heiner Klaaßen, erinnern Sie sich an mich?“

Langsam sickerte die Erkenntnis zu mir durch, dass es nicht die schreckliche Wesenheit war, die mit mir sprach. Vorsichtig riskierte ich einen Blick und sah den Baustellenleiter vor der Heckscheibe stehen. In das Raureif überzogene Glas hatte er ein Sichtfenster gekratzt und hämmerte jetzt unermüdlich gegen das Auto.

„Lassen Sie mich einfach hier liegen“, murmelte ich, begriff aber nicht, dass er mich nicht verstehen konnte.

Eine zweite Person trat zu Klaaßen und die beiden beratschlagten.

Dann erschien das Gesicht des Geologen in dem kleinen Sichtfenster. Er winkte mit einem Edelstahlzylinder. Ich starrte ihn verständnislos an.

„He Brinkmüller“, rief er, „Wir haben für Sie einen heißen Kaffee mitgebracht und unser Wagen hat Sitzheizung. Wie wärs? Sie frieren sich doch da drinnen den Arsch ab.“

Ich überlegte, ob sich die Anstrengung lohnte, das Auto zu verlassen und wieder zu frieren, aber dafür einen heißen Kaffee zu bekommen. Die Sitzheizung klang eigentlich auch recht verlockend. Ich nickte, wickelte mich so eng wie möglich in die kratzige Decke, achtete darauf, dass die dünne Folie der Feuerwehrdecke nicht runterrutschte und kletterte mühsam auf die Heckbank, um die Tür zu öffnen.

Die beiden Männer nahmen mich in Empfang, stützten mich und führten mich die wenigen Schritte zum Fahrzeug des Geologen. Sie schoben mich auf die Rückbank und stiegen dann vorne ein. Drinnen war es angenehm warm, aber noch nicht warm genug.

Der kurze Marsch hatte mich wieder zittern lassen.

„Kaffee“, nuschelte ich zähneklappernd und bekam einen dampfenden Thermobecher in die Hand gedrückt. Das Gebräu war stark, aber zu süß und irgendwie komisch.

„Zu süß“, beschwerte ich mich.

Die beiden Männer sahen sich feixend an. Mein Blick wanderte von einem zum anderen, wie sie über die Lehnen der Sitze gebeugt zu mir nach hinten starrten. Misstrauen kroch in mir empor. Der Geologe ergriff das Wort: „Dat soll nicht schmecken, dat soll Sie wieder auf die Beine bringen. Der viele Zucker kurbelt Ihre innere Heizung wieder an und der komische Beigeschmack kommt von einer Prise Salz, um Ihren Elektrolythaushalt auszugleichen. Altes Familienrezept, eigentlich gegen Kater gedacht, aber mit kleinen Anpassungen hilft es auch bei Verkühlung.“

Die Überraschung stand mir ins Gesicht geschrieben.

„Wie haben Sie mich gefunden?“, wollte ich wissen.

Der Geologe grinste jetzt breit. „Joar, nach unserem Gespräch gestern, wollte ich Sie heute Morgen um einen Gefallen bitten. Als Sie nicht da waren, Ihr Auto aber noch auf dem Parkplatz stand, bin ich mit der Wirtin zusammen auf Ihr Zimmer. Da hab‘ ich Ihre Notizen gefunden und dachte mir, dass ich Sie wahrscheinlich hier finden würde.“

Mein Blick wanderte zu Klaaßen und der Geologe fuhr fort: „Heiner ist‘n Kumpel von mir. Wir kennen uns schon seit ‘ner halben Ewigkeit.“

„Oh“, machte ich überrascht. Die Welt schien erstaunlich klein zu sein. Mir fiel ein, dass Klaaßen uns mit Gerätschaften und Arbeitskräften unterstützte, als die Höhle unter dem anhaltenden Regen gelitten hatte. Jetzt ergab das Sinn.

„Um es kurz zu machen“, begann Klaaßen, „Wir haben Ihre Notizen mit den Forschungsergebnissen und meinen Baustellenmessungen zusammengelegt und brauchten dann nur noch Eins und Eins zusammenzuzählen.“

Ich nippte an dem Thermobecher. Das heiße Gebräu belebte mich tatsächlich allmählich. Die starke Mischung aus Zucker und Koffein brachte meinen Kreislauf langsam auf Touren.

„Zu welchem Schluss seid Ihr gekommen?“, fragte ich vorsichtig.

„Joar“, begann der Geologe und warf seinem Sitznachbarn einen unsicheren Blick zu, „Zwei ist jetzt nicht unbedingt als Ergebnis herausgekommen. Wir wissen nicht genau, was das alles zu bedeuten hat. Aber es muss ja was zu bedeuten haben, richtig?“

Ich seufzte gedehnt und blickte in den Thermobecher. „Glaubt ihr, dass es Dinge gibt, die man weder erklären, noch verstehen kann?“

Eine kurze Stille trat ein.

Dann ergriff Klaaßen das Wort: „Ich bin kein religiöser Mensch, ich verlasse mich auf Erfahrung und Wissen. Aber bei dieser Baustelle ist einiges passiert, was ich als unmöglich bezeichnen würde. Außerdem weiß ich, dass Dieter ein guter Mensch war. Der hätte niemals so eine Schweinerei hier angerichtet, wenn er alle Sinne beieinander gehabt hätte. Da kann die Polizei sagen was sie will. Der Dieter war ne ehrliche Haut. So was hätte der nicht gemacht. Nicht für Geld und nicht unter Zwang.“ „Sie meinen den armen Teufel, der im Spalt gefunden wurde“, begriff ich, „Da unten zu sterben ist schlimm genug, aber ich fürchte, dass Volker noch etwas Schlimmeres zugestoßen ist.“

Klaaßen warf dem Geologen einen fragenden Blick zu.

„Der Archäologe“, erklärte dieser, „Der hat sich eigentlich von Anfang an etwas sonderbar benommen, aber wer rechnet denn damit, dass die Höhle einen gleich in den Wahnsinn treibt“, fügte er düster hinzu.

„Was habt ihr herausgefunden?“, bohrte ich nach. Meine Stimme klang etwas fordernder als beabsichtigt und die beiden Männer grinsten sich wieder feixend an. „Immer langsam, Sie haben sich gefährlich unterkühlt. Wollen Sie sich nicht auskurieren?“

Ich schüttelte den Kopf: „Ich weiß nicht wie viel Zeit wir noch haben. Da unten ist etwas, das sehr gefährlich ist. Es ist in der Lage, irgendwie Kontrolle über Menschen auszuüben. Ich kann es weder erklären, noch verstehen“, ich seufzte in den Thermobecher, „Es klingt selbst in meinen Ohren lächerlich, wenn ich es ausspreche. Ich weiß nicht mal, wie ich hier gekommen bin. Ich muss geschlafwandelt sein. Alles was ich weiß, ist, dass ich um ein Haar nicht mehr aus der Höhle rausgekommen wäre und ich fürchte, dass Volker tot ist“, stammelte ich. Es fiel mir schwer darüber zu reden, weil ich immer noch Angst hatte, den Verstand zu verlieren und mir alles nur eingebildet zu haben.

„Keine Sorge“, meinte der Geologe, „Jetzt sind Sie ja nicht mehr allein. Wir haben tatsächlich wenig Zeit, aber aus einem anderen Grund“, er warf Klaaßen einen kurzen Blick zu. Dieser nickte und der Geologe fuhr fort: „Ich gebe Ihnen die ultra-knappe Kurzfassung, damit Sie verstehen, was wir vorhaben und sich uns hoffentlich anschließen werden.“

Ich nickte und bekam einen kurzen, aber sehr interessanten Bericht, der die Sichtweise auf viele Phänomene der Höhle in ein neues Licht rückte.

Durch Klaaßen erfuhr ich, dass die Höhle noch vor einem Jahr gar nicht existierte.

Man hatte im Vorfeld des Straßenbau-Projektes penibel darauf geachtet, dass keine Hohlräume unter der Straße lagen. Die üblichen Vor-Ort-Messungen belegten, dass der Untergrund an dieser Stelle solide sein sollte. Als sich die Baustelle allmählich dem Ort näherte, der jetzt die Doline bildete, begannen die Arbeiter sich häufig sonderbar zu benehmen. Manchmal wirkten sie abwesend, dann waren sie leicht reizbar, es kam vermehrt zu Krankmeldungen und Bitten, einem anderen Projekt zugeteilt zu werden. Das Projekt geriet in Verzug, weil das Tagespensum nicht mehr zu schaffen war. Klaaßen selbst gestand, dass auch er mehrfach dem Eindruck erlegen war, ein Pochen oder Klopfen aus dem Boden zu bemerken. Nicht als Geräusch, sondern mehr als Empfindung, die man mit dem ganzen Körper wahrnahm.

Anfangs versuchte der Baustellenleiter das Team stärker durchzumischen, sodass die Arbeiter den zusätzlichen Stress auf anderen Baustellen ausgleichen konnten. Aber nach wenigen Wochen wurde das von seinen Vorgesetzten unterbunden. Die Entdeckung der Doline war ein Schock, weil er die Messergebnisse der Bodenprüfung kannte und ab hier kam ihm der vage Verdacht, dass etwas mit der ganzen Angelegenheit nicht mit rechten Dingen zuging.

Zu seinem Glück konnte der Geologe ihn weiterhin auf dem Laufenden halten, da er zufällig ins Ausgrabungsteam beordert wurde.

„Die Ergebnisse der Ausgrabung muss ich Ihnen ja nicht erst vorkauen“, schloss der Geologe, „Also komme ich gleich zu dem Vorschlag. Eigentlich ist es eher ein Plan, der sich bereits mitten in der Umsetzung befindet“, er machte eine Pause und atmete tief ein. Ich konnte sehen, dass er sich sammeln musste, für das, was er jetzt zu sagen hatte: „Um ehrlich zu sein, wir werden uns alle drei furchtbar strafbar machen, aber ich hoffe, dass wir alle davon überzeugt sind, das Richtige zu tun“, er brach wieder ab.

Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme weckte meine volle Aufmerksamkeit.

Ich hatte endlich das Gefühl einen, wenn nicht gleich zwei Verbündete gefunden zu haben. Ich nickte grimmig zur Antwort und der Geologe erklärte den Plan: „In etwa einer Stunde kommt ein LKW mit einer Ladung Beton. Der Fahrer ist Klaaßen noch einen Gefallen schuldig und außerdem vertrauenswürdig. Wir gießen die Höhle einfach voll. Aber! Die Höhle ist zu groß, um sie mit einer einzigen LKW-Ladung aufzufüllen. Wir müssen vorher noch mal da runter und etwas Dynamit verteilen. Damit müssen wir echt vorsichtig umgehen, weil das Zeug wahnsinnig alt ist. Es stammt aus Restbeständen, die mein Vater aufm Pütt hat mitgehen lassen.“

Mein fragender Gesichtsausdruck nötigte ihn zu einer Rechtfertigung: „Joar, er wollte halt immer Hobby-Pyrotechniker werden und aus dem Dynamit Feuerwerksraketen basteln. Hatte aber nie Zeit dafür, weil seine Taubenzucht ihn ständig auf Trab gehalten hat. Den Strengstoff hat er jahrzehntelang aufbewahrt und mir dann auf dem Sterbebett geschenkt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da mal eine Verwendung für hätte.“

Ich nahm das einfach so hin und nickte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um die Rechtschaffenheit meiner Mitmenschen zu diskutieren.

„Wenn wir da runter gehen, können wir keine Taschenlampen als Lichtquelle nutzen. Es gibt einen unheimlichen Effekt, wenn das Licht zu viel Blau-Anteil besitzt“, gab ich zu bedenken.

„Das haben wir in Ihren Notizen gelesen. Im Kofferraum liegen acht Infrarot-Lampen, damit sollten wir hoffentlich den ganzen Weg ausleuchten können“, bemerkte Klaaßen.

„Ja, dann“, stammelte ich überrumpelt, „Packen wir‘s an“, ich warf die Decke von meinen Schultern. „Was? Wollen Sie wirklich so in die Höhle kriechen?“, entgegnete der Geologe belustigt und ich blickte ihn verständnislos an.

„Wenn Sie sich noch fünf Minuten gedulden können, dann leih ich Ihnen meine Ersatzschuhe und eine warme Jacke“, lachte er.

geschichte/krealithikum/kapitel_21.txt · Zuletzt geändert: 19.11.2022 22:49 von lou