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geschichte:krealithikum:kapitel_24

„Als die Sonne jung und der Fels der Erde noch warm, war die Mutter Kreator allein unter der Weite des Himmels“, raunte die malende Stimme. Das Wesen genoss seine Überlegenheit, während ich gezwungen war der erdrückenden Präsenz unter Qualen zu lauschen, bis mich mein Schicksal ereilte.

„Mutter Kreator war alles und ist alles und wird alles sein. Anfang und Ende von jedem Leben, das sich teilt und vermehrt, gedeiht und vergeht. Sie wachte über dem Ersten, der japsend Luft in neue Lungen saugte und labte sich am Letzten, wenn die Welt im Wandel das Alte ablegte. Mutter Kreator sah Feuer vom Himmel fallen und aus dem Bauch Erde brechen. Sterne wurden geboren und starben. Mutter Kreator war da und ist da“, die Stimme machte ein verächtliches Geräusch, das klang, als fiele ein großer Stein in einen Brunnen, „Nichts auf diesem Planeten ist ohne die Mutter Kreator und so gebietet sie über alles und alles ist durch die Hand der Mutter Kreator“, an dieser Stelle erzitterte die Grotte unter donnerndem Gelächter, „Höre, Bringer des Lichtes, der kein Lichtbringer ist: Tue Kunde unter deiner Art, dass einer kommen wird, der Fluch und Verderben bedeutet. Das Verhängnis wird wüten unter seiner Art wie nur die Mutter Kreator vor Frevel und Verrat es vermocht hätte. Das Land wird von der Farbe der sterbenden Sonne sein und die Mutter Kreator wird sich laben daran, millionenfach. Und Millionenfach wird der Frevel gesühnt werden, den seine Art für die Untaten der Ahnen zahlt, auf dass die Mutter Kreator niemals wieder vergessen sei.“

Die Wesenheit beendete ihre lange Rede.

In der eintretenden Stille klingelten meine Ohren von dem gewaltigen Donnern ihrer Stimme. Während der fürchterlichen Rede hatte ich mühsam versucht, meine Gedanken zu fokussieren, nicht an das Feuerzeug zu denken, aber jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Der fremde Einfluß war schwächer geworden, dennoch durfte ich nicht nachlässig werden.

Die Infrarot-Lampe brannte zwar noch, aber nur schwach und die grauenhafte Statue befand sich knapp außerhalb der Reichweite. Ich brauchte mehr Licht. Ich klammerte mich an diesen Gedanken, drängte den fremden Zwang der Wesenheit zurück und gewann die Kontrolle über meine Arme wieder.

Hektisch fummelte ich das Ding aus der Hosentasche und betätigte den Elektrozünder. Sofort leuchtete die Flamme auf. In dem aufflackernden goldenen Schein sah ich für den Bruchteil einer Sekunde, wie die fahle Haut der Abscheulichkeit Blasen zu werfen begann. Die Monstrosität warf die gespaltenen Arme nach oben und schützte ihr Gesicht, mit dem lidlosen geschlitzten Pupillen. Der Unterleib und der madenartige Schwanz, der sich noch in seiner Hülle aus rostbraunem Sinter befand, brach im nächsten Moment durch die steinerne Schicht, die wie dünne Eierschalen bröckelte. Das Ungeheuer war frei. Es fiel regelrecht von seinem Sockel herunter und kroch mit rasender Geschwindigkeit in die wogenden Schatten, die sich wie ein Schleier teilten und verschlangen, ihr Schutz gewährten.

Ein Beben ging durch die Höhle, begleitet von einem grauenhaften Laut, der nach berstenden Felsen klang. Plötzlich war ich frei, der fremde Einfluss vollständig verschwunden. Ich sprang auf die Füße. Hastig, ohne die kleine Feuerzeugflamme zu gefährden, zog ich mich in den Lichtkegel der Infrarot-Lampe zurück und griff danach.

„Er soll gehen Kunde tun unter seiner Art“, dröhnte der Befehl in meinem Kopf, „Erst wenn die rechte Zeit gekommen ist, wird die Mutter Kreator ihren Tribut einfordern“, fuhr die Stimme fort. Ich ignorierte sie, mein Blick streifte zwei Körper, die rechts von mir ineinander verknotet auf dem Boden lagen. Heiner und Hannes. Sie schienen sich gegenseitig umgebracht zu haben, wenn ich die verschlungenen Leiber richtig deutete. Ein schmerzhafter Stich bohrte sich in mein Herz. „Du kriegst mich nicht“, antwortete ich traurig, „Wir hatten viel Zeit uns zu entwickeln. Ich werde einen Weg finden, um das hier zu beenden.“

„Kein Entkommen gibt es für jene, die über die Erde wandeln. Mutter Kreator ist die Erde“, donnerte es, aber es tat nicht mehr in den Ohren weh.

Mit dem brennenden Feuerzeug in der einen Hand und der Infrarot-Lampe in der anderen bewegte ich mich langsam rückwärts. Schließlich erreichte ich die Menhire und wandte dem leeren Sockel den Rücken zu.

„Seine Essenz brach den Fluch. Seine Essenz ist Teil von Mutter Kreator. Nicht verbirgt ihn vor ihrem suchenden Blick, wenn sie den Tribut einfordert“, versprach die Wesenheit mit grausamer Bestimmtheit.

Die Sprungschicht befand sich direkt vor mir.

Ich hielt den Atem an und schritt hindurch.

Staub rieselte mir ins Gesicht.

Ein Rumpeln ging durch den Felsen. Steine polterten neben mir zu Boden.

Ohne einen klaren Gedanken zu fassen, rannte ich einfach los. Halbblind, denn die Infrarot-Lampe reichte nicht weit genug und die Ritzungen der Menhire waren erloschen. Um mich herum schien die ganze Höhle einzustürzen.

Es ging durch den Tunnel, der ohrenbetäubend vom Bersten der Felsen wiederhallte und am anderen Ende schlüpfte ich grade eben noch zwischen den Säulen hindurch, bevor sie ineinander stürzten und den Tunnel zwischen sich verschütteten.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, raste ich die Treppe rauf. Der Eingang kam in Sicht.

Ich wurde langsamer. Die Spinnen hatten den ganzen Eingangsfelsen zu gesponnen. Ein silbriger Schleier überzog den Stein und verbarg das kreisrunde Loch zum Ausgang.

Kurz hielt mich der Ekel zurück, aber als ein größerer Felsen sich knirschend nur wenige Zentimeter hinter mir in den Boden fräste, hielt ich das Feuerzeug an das feine Gespinst, um mir den Weg frei zu brennen. Eine Stichflamme loderte hell auf und frass sich in Sekundenschnelle durch die Barriere und jagte die Spinnen ins Dunkel. Der Weg war frei. Ich warf mich vorwärts, ein frischer Luftzug streifte mich.

Mit letzter Kraft zog ich mich ins Freie, kroch auf Händen und Knien weiter, wälzte mich auf den Rücken und strampelte wie ein Ertrinkender mit den Beinen. Für einen kurzen Moment befiel mich der grässliche Gedanke, eine schattenhafte Klaue könne aus dem gähnenden Loch schnellen und mich zurück in die Finsternis ziehen, doch nichts dergleichen geschah.

Das Boden unter mir zitterte und vibrierte noch immer.

Mein Blick schweifte zum Rand der Doline.

Wie lange war ich in der Höhle gewesen?

Was war mit dem LKW?

Eisiger Wind biss mir wieder in die Haut und ließ mich frieren. Ich schleppte mich die Rampe hoch und starrte auf ein Bild der Verwüstung.

So weit der Blick reichte, war die Erde in Bewegung geraten. An vielen Stellen brach der Boden ein und erzeugte weitere Dolinen, Bäume neigten sich zur Seite, fielen krachend in die Hohlräume. Die Straße riss auf, spaltete sich in mehrere Schollen, die auseinandertrieben. Ein paar hundert Meter voraus konnte ich noch ein Stück eines LKWs erhaschen, bevor die Erde ihn verschlang. Ich stolperte verstört durch die apokalyptische Szenerie. Wie durch ein Wunder gab der Boden niemals unter meinen Füßen nach, obwohl ich nicht mehr Herr meiner Sinne war und mir keine Mühe gab, einen sicheren Pfad durch das Chaos zu finden.

In meinem Bewusstsein war nur noch Platz für den Wunsch, diesen Ort zu verlassen und ich lief einfach weiter. Ich hörte auch nicht auf zu laufen, als die Erde sich wieder beruhigte.

Eine vage Furcht hatte sich in mir festgesetzt. Ich fühlte mich verfolgt und beobachtet. Der Verlust von Volker, Heiner und Hannes schmerzte, aber die Angst vor meinem eigenen Schicksal überdeckte die Trauer noch. Ich wusste, sie würde mich irgendwann mit voller Härte einholen, aber noch stand mein eigenes Überleben auf der Kippe. Ich musste hier weg.

Es gab keine andere Möglichkeit für mich, als immer weiter zu laufen.

Und so lief ich. Immer weiter.

geschichte/krealithikum/kapitel_24.txt · Zuletzt geändert: 19.11.2022 23:03 von lou