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geschichte:krealithikum:kapitel_5

„Dieses Bild erzählt von einer Gottheit, die das Land und alle Lebewesen beherrschte. Schau hier, die Position der Figur. Sie steht über den Tierherden und den Menschen“, Volker deutete auf eine schwarz gemalte Abbildung, eines Wesens, dass dem des Götzenbildnisses entsprach. Ich nickte. Darunter war eine typische Jagdszene zu sehen, wie man sie häufig in der Steinzeitkunst finden konnte.

„Woher weißt du, dass es eine Gottheit sein muss?“, wollte ich wissen.

„Das verraten mir die folgenden Bilder, schau“, er trat einen Schritt weiter und gab damit den Blick auf zwei Bilder frei, die nur halb so hoch wie das vorangegangene waren, aber über einander gezeichnet und damit genauso groß, wie das erste Bild waren.

„Hier sieht man, wie die Gottheit die Pflanzen wachsen lässt. Die Geste der Hände ist dabei sicher entscheidend. Sie hält die Handflächen nach außen. Die Pflanzen sind groß und üppig gezeichnet und es gibt viele Tiere, die sehr lebendig wirken“, dann zeigte auf das untere Bild, „Hier hält sie die Arme ausgestreckt, mit den Handflächen nach unten. Es gibt keine Darstellungen von Pflanzen und die Tiere stehen verkehrt herum, mit den Füßen in der Luft, was man als Synonym für den Tod interpretieren kann.“

„Das ist unglaublich“, bemerkte ich und trat einen Schritt näher an die Felswand heran. Dadurch fiel mein Schatten auf den Felsen und raubte mir die Sicht.

In den letzten Tagen hatte die Höhle eine umfassende Wandlung durchlaufen.

Leistungsstarke Scheinwerfer sorgten dank eines großen Diesel-Generators im Freien, für eine dauerhafte Beleuchtung. Mit zunehmendem Licht verflüchtigten sich die sonderbaren Schrecken, die mir die Höhle vorgegaukelt hatte und ich war froh mich für die Ausgrabung entschieden zu haben. Jetzt wimmelte es hier von Archäologen und Geologen, die akribisch jeden Zentimeter der beiden Höhlen unter die Lupe nahmen, damit kein Geheimnis unentdeckt blieb. Das 10-köpfige Team war größtenteils im Wirtshaus untergebracht, nur der ortsansässige Geologe und ein Kollege von ihm fuhren jeden Abend nach Hause.

In der Kuppelgrotte, wie wir die zweite Höhle mit dem Götzenbildnis getauft hatten, brachten wir im wahrsten Sinne des Wortes gleich eine überraschende Sensation ans Licht.

Die Felswände waren mit Bildern bemalt, die mutmaßlich eine zusammenhängende Geschichte erzählte.

Volker war sofort in seinem Element, ließ die Handabdrücke des Tunnel augenblicklich links liegen und verwendete jede freie Minute auf die Interpretation und Dokumentation der Felszeichnungen. Ich hingegen hatte eine Menge organisatorische Pflichten übernommen, weshalb ich mir nur einmal am Tag einen kurzen Besuch auf der Ausgrabungsstätte erlauben konnte.

Meine Hauptaufgaben bestanden allerdings eher darin Streitigkeiten zu schlichten, was ich nun überhaupt nicht erwartet hatte. Als Vertreter des Denkmalamtes sah man mich als offiziellen Vertreter der Geldgeber an und trug mir alles zu, was nicht funktionierte. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.

Zwischen den Geologen und Archäologen herrschte ein mittelschwerer Disput, was die Sinterbecken betraf. Während die Mineralienfreunde die kunstvollen Gebilde zu schützen suchten, um sie zu erhalten, wollten die Scherbensammler sie am Liebsten abreißen, um die inzwischen einhellig vertretene Theorie einer darunter befindlichen Treppe zu prüfen.

Erschwert wurde die Angelegenheit durch eine Holzbohlen-Konstruktion, die als rudimentärer Abstieg fungierte und leider nur parallel zu den Sinterbecken installiert werden konnte, weil der Hang sich dort am Besten für eine Treppe eignete. Die ständige Nähe zu den Sinterbecken verleitete die streitenden Parteien immer wieder dazu ihrem Disput Ausdruck zu verleihen.

Ich musste täglich mit viel Diplomatie und Feingefühl zwischen den verhärteten Fronten vermitteln, doch noch war keine Lösung in Sicht.

Genauso musste ich täglich mehrmals mit verschiedenen Unternehmen des Siedlungsprojektes telefonieren und ihnen immer wieder aufs Neue erklären, warum die Ausgrabung auf unabsehbare Zeit andauerte.

Jedes Gespräch endete mit meiner Empfehlung meinerseits, einfach die Straße zu verlegen, damit die Bauarbeiten an der Neubausiedlung wieder aufgenommen werden konnten und die Bauherren drohten daraufhin wie auswendiggelernt, mit ihren guten Beziehungen zu kommunalen Vertretern in der Politik, worauf ich stets antwortete, dass auch die Politiker sich an die Gesetze halten müssten. Diesen Teil meines Jobs mochte ich überhaupt nicht.

Aber die Momente, die ich täglich auf der Ausgrabung verbringen konnte, um hautnah die neuesten Erkenntnisse mitzuerleben, machten den unangenehmen Part mehr als wett.

„Habt ihr schon herausgefunden, wie es zu den untypischen Pflanzendarstellungen kommt?“, wollte ich wissen und betrachtete die Abbildung eines Baumes, der mit seinen knorrigen Ästen an eine alte Eiche erinnerte. Für Stamm und Äste hatten die Urzeitkünstler schwarz gewählt, die Krone war weiß, in Ermangelung grüner Farbpigmente.

„Nein, leider nicht. Es bleibt eine absolute Besonderheit“, seufzte Volker. „Bei der Farbgebung haben wir aber inzwischen eine eindeutige Statistik erstellen können“, grinste er.

„Lass dich nicht lange bitten“, forderte ich.

„Die schwarze Farbe ist der Gottheit und den Pflanzen-Darstellungen vorbehalten. Das stützt unter anderem meine Theorie, dass diese Gottheit Macht über die Pflanzen hatte und damit natürlich auch die Tiere beherrscht hat, die ohne Nahrung verhungern mussten. Die rote Farbe wurde ausschließlich für Handabdrücke und Tiere verwendet, wobei es noch eine kleine Besonderheit bei den Handabdrücken gibt. Die Künstler haben ihr eigenes Blut mit in die Farbe gerührt. Bei den Tieren wurden nur Mineralien verwendet.“

„Das ist erstaunlich“, gab ich zu, „Was ist mit der weißen Farbe?“

„Wir sind uns noch nicht ganz sicher, das Labor prüft noch die Zusammensetzung. Natürlich gibt es einen großen Kalkanteil, der die weiße Färbung bedingt, aber es gibt auch einige Pflanzenanteile, was darauf hindeuten könnte, dass die Blätter der Bäume tatsächlich irgendwann einmal grün aussahen. Das wäre spektakulär, weil wir niemals irgendwo grüne Farbpigmente gefunden haben. Sie oxidieren einfach zu schnell und nehmen eine braune Färbung an.“

„Hat das Labor schon etwas zum Alter der Felszeichnungen gesagt?“

„Ja, sie datieren den Fund auf ca. 50.000 Jahre. Das ist ungefähr die Grenze zum Beginn der Sesshaftigkeit.“ „Dann ist die Echtheit jetzt also tatsächlich offiziell bewiesen“, lächelte ich, „Das freut mich sehr.“ „Es ist alles echt, wie ich vermutet habe. Und es ist echt bizarr. Komm, ich muss dir noch mehr zeigen“, Volker wies mit einem Arm auf die verabscheuungswürdige Statue, der wir bisher den Rücken zugekehrt hatten.

Es war mir immer noch unangenehm das Götzenbildnis zu betrachten, doch seit die Höhle über eine angemessene Beleuchtung verfügte, war es bei einem leichten Unwohlsein geblieben. Das Licht schien zwar weniger hell als es eigentlich sein sollte, doch diesen Eindruck schon ich auf meine Einbildungskraft, die mir zu Beginn meiner Erkundungen hier unten so grausame Streiche gespielt hatte.

Ich bemerkte, dass man mit ersten Restaurationsarbeiten begonnen hatte.

Die Stalaktiten unter den ekelhaft dürren Armen waren entfernt worden.

„Wir haben die Tropfsteine abgenommen und ebenfalls ins Labor geschickt“, erklärte Volker als hätte meine Gedanken gelesen, „Die sagen, dass die Steine in nur wenigen Jahrzehnten gewachsen sein müssen und dann einfach damit aufgehört haben. Ist das nicht mysteriös?“

„Naja“, überlegte ich laut, „kann auf eine natürliche Veränderung der Bodenschichten zurückgehen. Lehm könnte sich über den porösen Felsen gelegt haben, sodass einfach kein Wasser mehr in die Höhle eindringen konnte.“

„Das ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Wir sollten das nachprüfen.“

„Hast du einen Verdacht?“

„Vielleicht“, meinte er ausweichend, „Es ist noch zu vage, um spruchreif zu sein.“

„Verstehe.“

Ich wandte mich von der Statur ab und ließ meinen Blick über die Menhire gleiten. Elf senkrechte Felsen, zu einem Kreis um das Götzenbildnis angeordnet. Die Innenseite aller Steine war schwarz verfärbt, ebenso der Bereich um sie herum, sodass sich ein deutlich erkennbarer Ring abzeichnete. Das Labor hatte erst gestern gemeldet, dass es sich um Ruß handelte, aber diese Erkenntnis warf eine ganze Reihe weiterer Fragen auf.

„Was ist mit den Hinkelsteinen?“, wollte ich wissen, „Habt ihr da etwas Neues herausgefunden?“ „Nichts, was den Ruß betrifft. Man hat sie wohl den Hang runterrutschen lassen. Wir haben festgestellt, dass der Tunnel Schleifspuren aufweist, was auch den scharf konturierten Eingang erklären könnte, wenn die Steine da durchgezogen oder geschoben wurden.“

Ich drehte mich einmal um meine Achse und begutachtete die Grotte in ihrer Gesamtheit. Die Felsmalereien auf den Wänden im Hintergrund, der Kreis aus Hinkelsteinen mit dem schwarzen Ring, in dessen Zentrum der Sockel des Götzenbildnisses stand.

Nichts in der Grotte zeigte Spuren von Versinterung.

Warum die Statur so viele Kalkablagerungen aufwies, war fast schon wieder ein neues Rätsel, obwohl vermutlich ein Zufall dafür verantwortlich war, bedachte man die natürliche Entstehung von Tropfsteinen.

Mein Smart-Phone erwachte vibrierend zum Leben.

Ich hatte mir angewöhnt einen Wecker zu stellen, damit ich die Zeit nicht vergaß, denn aus einem unerfindlichen Grund schien sie in der Grotte schneller zu vergehen als die innere Uhr es mir sagte. „Ich muss wieder los“, seufzte ich, „Auf mich wartet noch Papierkram.“

„Wie schade, ich hätte dir gerne noch mehr gezeigt.“

„Wir sehen uns doch. Keine Sorge, meine Neugier ist viel zu groß, als dass ich mir deinen Bericht entgehen lassen würde.“

„Na dann bis morgen.“

„Von wegen: Bis heute Abend! Ich hoffe, wir sehen uns später in der Kneipe, dann will ich den Rest der Geschichte hören“, ich zeigte scherzhaft auf die Felswand.

„Pappkopp. Sieh zu, dass du Land gewinnst. Hältst mich von der Arbeit ab und willst dann auch noch Ansprüche stellen“, schimpfte der Archäologe in gespieltem Zorn.

Wir lachten, klopften uns gegenseitig auf die Schultern, dann machte ich mich auf den Rückweg.

Ich fühlte mich trotz allem erleichtert, als ich aus der Höhle wieder ins Freie trat und den offenen Himmel über mir spürte. Das Gefühl hatte sich seit dem ersten Tag nicht verändert.

Selbst, wenn der Himmel wie jetzt mit bleiernen Wolken verhangen war, die rasch dem Horizont entgegeneilten.

Schlechtes Wetter kündigte sich an. Ein Schauer jagte mir den Rücken runter. Mit der Gewissheit, dass ich nicht mehr auf der Straße unterwegs sein wollte, wenn der Regen loslegte, beeilte ich mich, ins Hotel zu fahren.

Tatsächlich schaffte ich es grade noch trockenen Fußes das Gebäude zu betreten, als der Himmel wie aufs Stichwort seine Schleusen öffnete und der Regen ganz plötzlich und mit voller Stärke einsetzte. Kein sporadisches Tröpfeln ging dem Schauer voraus, kein Windhauch, der oft unmittelbar vor einem Schauer durch die Bäume strich.

Ich stand noch im Eingangsbereich, nahe der Rezeption des Wirtshauses als das gleichmäßige Rauschen die Luft erfüllte und warf einen erleichterten Blick zurück.

Der Regen fiel so dicht, dass ich mein Auto kaum auf dem Parkplatz, wenige Schritte vor dem Haus, erkennen konnte.

Ich beglückwünschte mich dafür, rechtzeitig angekommen zu sein und nicht durch diese trübe Suppe fahren zu müssen. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht.

Von der Rezeption führte eine Treppe in den ersten Stock, wo sich insgesamt acht Gästezimmer befanden. Zimmer eins bis vier auf einem Flur zur rechten Seite, Zimmer fünf bis acht links. Ein dicker Teppich dämpfte alle Schritte, aber das Trommeln des Regens drang durch das Fenster am Ende des linken Flures und erfüllte die Luft mit dem charakteristischen, leisen Rauschen.

Der rechte Flur hatte kein Fenster, dort befand sich ein Gästezimmer vor Kopf.

Aus Gewohnheit betätigte ich den Lichtschalter, weil mir das Zwielicht ein unwohles Gefühl bereitete, obwohl ich in den helleren Flur zur Linken einbog. Ich hatte die Zimmernummer sechs am Ende des Ganges erhalten, Volker war mir gegenüber in der Sieben einquartiert worden.

Das Zimmer selbst war überraschend komfortabel eingerichtet. Ein dunkelblauer dicker Teppich dämpfte auch hier alle Schritte, die Möblierung war zweckmäßig schlicht, aber das Zimmer verfügte über einen kleinen Wasserkocher mit einer Auswahl der gebräuchlichsten Teesorten.

Als Kaffeetrinker hatte ich mir noch am ersten Abend in dem örtlichen Supermarkt löslichen Kaffee und Würfelzucker gekauft, um den Service nach meinem Geschmack zu nutzen.

Jetzt freute ich mich auf ein heißes Getränk.

Während ich mich in den langweiligen Papierkram vertiefte, ergriff eine überwältigende Müdigkeit Besitz von mir. Der Kaffee schien keinerlei Wirkung zu entfalten, stattdessen übte das gleichmäßige monotone Rauschen des Regens eine geradezu hypnotische Wirkung auf mich aus, der ich nicht lange widerstehen konnte.

Ehe ich es bemerkte, nickte ich am Schreibtisch sitzend ein und glitt in einen bizarren Alptraum.  

geschichte/krealithikum/kapitel_5.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 22:47 von lou