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geschichte:krealithikum:kapitel_6

Ich schwebte körperlos durch diffuses Zwielicht. Sonderbare Echos erfüllten die Luft, die allmählich zu einem langsamen, rhythmischen Pochen geronnen, wie der gewaltige Herzschlag eines grotesken Wesens. Eines fremden Wesens, mit einem kalten und eintönigen Herzschlag, im Gegensatz zu dem dynamischen Doppelklang menschlicher Herzen. Es fröstelte mich und ich wollte umkehren, doch eine unsichtbare Macht zog mich weiter auf meinem Pfad, durch die viskose Dämmerung. Geradeaus und dann nach oben. Die Dämmerung veränderte sich, bildete dunkle Konturen aus, unscharf und vage. Das Pochen nahm eine neue Qualität an, die mich in Schrecken versetzte. Hämmernd, fordernd, kalt.

Ich kämpfte gegen die Bewegung, wollte umkehren, zur Seite ausweichen, nur nicht weiter geradeaus, aber ich hatte keinen Körper mit Gliedmaßen, die sich festhalten konnten und das diffuse Halbdunkel offenbarte keine Objekte, die ich hätte greifen können.

Die dunklen Konturen verdichteten sich zu wabernden Schatten, die mir die Sicht raubten, eisige Kälte ging von ihnen aus und wo sie mich berührten, drang tödliches Frösteln in mein Innerstes, lähmte das Denken, machte mich träge und schwer, zu schwer für die Macht die mich vorwärts zog. Einen schrecklichen Moment schwebte ich einfach auf der Stelle, während die Schatten sich um mich versammelten und einen grotesken Reigen aufführten, wie Raubfische, die im Rudel ein Opfer umkreisten. Dann sank ich. Von Grauen erfüllt löste sich ein Schrei aus meiner Kehle, aber er hatte keinen Klang, ging im übermächtigen Pochen einfach unter.

Die Schatten hüllten mich ein, aus dem Frösteln wurde tödliches Frieren und ich erwachte mit einem grässlichen Schauer, der mir Gänsehaut am ganzen Körper verpasste.

Verwirrt sah ich auf. Das Zimmer lag fast im Dunkeln, nur die kleine Schreibtischlampe spendete etwas Licht und warf groteske Schatten in den Raum.

Erschrocken sprang ich auf, tappte zur Tür und knipste das Licht an. Die Lampe flammte auf, schien den Raum aber nicht besser zu beleuchten. Zusätzlich schaltete ich auch noch beide Nachttischlampen des Doppelbettes ein, aber der Eindruck dämmeriger Beleuchtung blieb. Als hätten sich die bizarren Traumelemente in dem Zimmer eingenistet und weigerten sich vor dem Licht zurück zu weichen.

Ein vages Gefühl der Beklommenheit machte sich in mir breit.

Ich schaltete auch das Badezimmerlicht ein. Der Gedanke an einen dunklen Fleck in meiner Umgebung versetzte mich in Angst. Im nächsten Moment ärgerte ich mich.

Wann war ich denn so empfindlich geworden, dass mir ein dummer Alptraum so zusetzte? Aber die Antwort kannte ich nur zu gut. Meine Fantasie spielte verrückt seit ich das erste Mal in der verdammten Höhle gewesen war.

Irgendetwas an diesem Fund berührte mich mehr als es sollte.

Es war lächerlich und ich hätte es nie einem anderen Menschen gegenüber zugeben können, aber mich selbst konnte ich nicht belügen. Trotzdem klammerte ich mich an die Hoffnung, dass irgendwann ein Gewöhnungseffekt eintreten würde, wenn ich nur weiterhin jeden Tag die Ausgrabung besuchte.

Jetzt fröstelte ich wieder bei dem Gedanken an das abscheuliche Götzenbildnis in der Kuppelgrotte. Im Grunde hätte ich längst einen anderen Auftrag annehmen können. Der Papierkram konnte auch von Kollegen im Büro erledigt werden, aber ich hatte das Gefühl, dass ich diese Angelegenheit mit mir selbst ausfechten musste, um überhaupt weiterhin meinen Job ausüben zu können.

Das war alles so lächerlich. Sicher war ich einfach nur gestresst und überarbeitet.

Ja, das musste es sein.

Ich entschied mich dafür, die üblichen Stressbewältigungsmaßnahmen zu ergreifen, die mich schon oft vor Dienstreisekoller, Überstundenfrust und allgemein schlechter Laune gerettet hatten. Ich gönnte mir eine heiße Dusche und verließ wenig später meine Unterkunft, um etwas zu essen. Das Licht ließ ich jedoch eingeschaltet, als ich die Tür hinter mir schloss.

Die Kneipe war genauso rustikal eingerichtet, wie der „Partieraum“, in dem ich einige Tage zuvor aus der Ohnmacht erwacht war. Ich bestellte ein Jägerschnitzel mit Bratkartoffeln und ein Bier bei der blonden Wirtin.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis ich mit der Gesellschaft von Volker rechnen durfte. Es war grade kurz nach fünf Uhr und er verließ die Ausgrabung für gewöhnlich immer erst gegen acht Uhr.

Doch ich hatte kaum aufgegessen, da schlenderten die Teilnehmer der Ausgrabung durchnässt und mit langen Gesichtern in die Kneipe, bestellten heiße Getränke und Abendbrot.

Es musste etwas vorgefallen sein.

Mein Blick suchte Volker in der Gruppe der Neuankömmlinge und entdeckte ihn schließlich in einer Nische sitzend, so niedergeschlagen, wie ich ihn nur einmal nach der Trennung von einer Jugendfreundin gesehen hatte.

Hastig schaufelte ich die letzten Bratkartoffeln in meinen Mund, stellte den Teller auf dem Weg zu Volker auf dem Tresen ab und setzte mich zu ihm.

„Was ist passiert?“, kam ich sofort zur Sache.

Er seufzte nur bekümmert, rieb sich das müde Gesicht und sah mich enttäuscht an. „Regen“, meinte er trocken.

Eine Ahnung keimte in mir, aber meine Gefühle stritten darum, ob ich mich freuen sollte. „Wie schlimm ist es?“

„Schlimm genug, dass wir abbrechen mussten, sonst hätten wir in der Kuppelgrotte übernachten müssen. Aber es wurde nichts beschädigt, wenn du das meinst.“

Bei dem Gedanken eine Nacht in der schattenerfüllten Höhle verbringen zu müssen, machte sich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend breit.

„Bitte etwas genauer“, forderte ich dennoch.

„Der Regen von der Straße hat sich in der Doline gesammelt und ist in den Schacht eingedrungen, aber wie sich herausstellte, ist der Spalt am Ende des Hangs der tiefste Punkt der unteren Ebene und das Wasser konnte da wie durch einen großen Gulli abfließen. Das Problem bestand darin, den Hang zu erklimmen, weil die Holzbohlen furchtbar rutschig wurden und wir die Treppe ja noch nicht benutzen können, bis die Kalkablagerungen entfernt sind.“ Er grinste hämisch.

Ich nickte und lehnte mich zurück. Meine Gefühle stritten immer noch.

„Trinkst du noch ein Bier mit mir?“, riss mich Volker aus meinem Disput und signalisierte der Wirtin mit einer Geste seine Bestellung.

„Klar, gerne. Hast du noch Fortschritte gemacht?“

„Ich mache jeden Tag Fortschritte“, sagte der Archäologe und grinste schon wieder flüchtig. „Lass hören“, neckte ich ihn.

„Weißt du“, begann er zögernd, „Mich beschäftigt vor allem diese Gottheit. Die Naturgewalten, die sie beherrschte, das Wesen, ihre Geschichte“, einen Moment schwieg er.

Das Bier wurde gebracht und ich nahm einen kräftigen Schluck.

Der Archäologe fuhr fort: „Jedes Mal wenn ich die Höhle betrete, dann habe ich den Eindruck einen Schritt in die Vergangenheit zu machen, der mich dieser urtümlichen Schönheit näher bringt.“ Der Ekel, der in mir hochwallte, musste sich deutlich auf meinem Gesicht abzeichnen, denn Volker hob eine Augenbraue.

„Ich kann diese Statur mit vielen Adjektiven belegen, aber „schön“ gehört definitiv nicht dazu“, erklärte ich angewidert.

„Was hast du nur gegen sie?“

„Es ist hässlich. Wie kommst du denn darauf, dass es eine weibliche Gottheit ist?“

„Sie hat Brüste. Komm schon, das muss dir doch aufgefallen sein.“

„Diese widerwärtigen Knubbel nennst du Brüste?“, ich verlor die Fassung, „Das ist nicht dein Ernst! Es können genauso gut Kalkablagerungen sein.

„Nein, das ist unmöglich, ich habs geprüft. Das müsste schon ein irrer Zufall sein, der deinen „Knubbeln“ einen nahezu identischen Abstand und ähnlichen Durchmesser beschert. Bis auf wenige Millimeter sind sie identisch und das kann man auf eine abweichende Dicke der Versinterung schieben.“

Ich wollte mich nicht streiten und zuckte die Achseln: „Ich schätze, genau werden wir es erst wissen, wenn wir die Statur restauriert haben.“

„Genau. Da wollte ich dich noch fragen, wie es mit dem Experten steht, der damit beauftragt werden soll. Ist der inzwischen genehmigt?“

Ich dachte an den Antrag, der noch unangetastet in meinem Zimmer lag, weil mir die Vorstellung widerstrebte, die abscheuliche Fratze der Statur irgendwann einmal sehen zu müssen. „Nein“, antwortete ich, „Da gibt’s noch nichts Neues.“

Volker seufzte: „Die sollen sich mal beeilen mit dem Papierkram. Ich kanns kaum erwarten, sie endlich von Angesicht zu Angesicht sehen zu können“, sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an.

Allmählich fragte ich mich, was mit dem Archäologen nicht stimmte, dass er so besessen von dem Götzenbildnis war. Aber diesen Gedanken behielt ich für mich.

Wir tranken noch ein zweites Bier zusammen und gingen zeitig ins Bett, um früh wieder zur Ausgrabungsstätte fahren zu können, falls der Regen über Nacht doch Schäden verursachte und schnelles Handeln erforderlich wäre.

geschichte/krealithikum/kapitel_6.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 22:53 von lou