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geschichte:krealithikum:kapitel_7

Ich fand nur wenig Schlaf, weil ich das Licht nicht ausschalten konnte, ohne mich vor der Dunkelheit zu fürchten. Der Regen trommelte unermüdlich gegen das Fenster. Vor diesem Auftrag hatte ich das Geräusch als angenehm empfunden, wenn ich gemütlich unter der warmen Decke im Bett liegen konnte, ungeachtet der Elemente, die draußen tobten. Jetzt fühlte ich mich auf eine unterschwellige Art und Weise bedroht, als würden tausend kleine Fäuste wütend gegen das Glas hämmern und nach Einlass verlangen. Wenn ich in einen leichten Schlummer glitt, suchten mich Alpträume heim, die dem ersten glichen, aber nie identisch waren.

Am Morgen erwachte ich gerädert und mit einem Katergefühl, obwohl ich nur drei Pils getrunken hatte.

„Sieht doch gar nicht so schlimm aus“, meinte Volker zuversichtlich. „Ich finde, es sieht scheiße aus“, entgegnete ich.

Wir standen am Rand der Doline, die sich durch den anhaltenden Niederschlag vergrößert hatte. Der nächtliche Regen war einem feinen Niesel gewichen, der wie Nebel in der Luft hing. Die Feuchtigkeit kroch in kürzester Zeit durch die Kleidung, machte sie klamm, schwer und weichte die Haut auf, sodass meine Finger schon runzelig wurden.

Im vorderen Bereich war ein Teil des Bauzauns abgerutscht und nach unten gesackt. Einige Elemente waren auseinandergerissen, lehnten senkrecht an der neuen Abbruchkante, steckten tief im schlammigen, aufgeweichten Boden oder ragten verdreht aus dem Schlamm, von dem man nur vage schätzen konnte, wie tief er sein mochte. Der Eingang zur Höhle hatte sich drastisch verändert. Der Regen hatte einen Findling freigelegt, der genau vor dem finsteren Schlund der Höhle lag. Wir hatten ihn nicht entdecken können, weil der sich ursprünglich auf Bodenniveau befand, aber nun ragte er eine Handbreit über den Schlamm hinaus. Mein erster Gedanke war, dass die Ahnen den Eingang verbarrikadiert hatten und teilte Volker meine Theorie mit. Er wiegte den Kopf, nahm meine Idee zur Kenntnis, aber es war ihm anzusehen, dass er sich jetzt erst mal auf die Instandsetzung konzentrieren wollte.

Bis zum Mittag stabilisierten wir die Ränder der Doline und sorgten für einen provisorischen Ablauf der den gesammelten Niederschlag der abschüssigen Straße von der Doline wegleitete. Der Bauherr half überraschend aus und schickte eine Handvoll Arbeiter, die das Ausgrabungsteam dabei unterstützte, die Doline wieder gefahrfrei begehbar zu machen. Ein Bagger schöpfte dünnflüssigen Schlamm vom Grund und ein Grabenverbau wurde installiert, um ein erneutes Abrutschen des oberen Erdreichs zukünftig zu verhindern. Klaaßen gehörte nicht zur Unterstützung, aber aus den Gesprächsfetzen der Arbeiter erfuhr ich, dass er sich für uns eingesetzt hatte. Das brachte ihm einige Sympathiepunkte bei mir ein und ich nahm mir vor, mich bei nächster Gelegenheit zu revangieren.

Am frühen Nachmittag konnten wir endlich die Höhle inspizieren.

Eine Menge Schlamm war durch den Eingang gespült worden, aber über den Hang abgeflossen. Wie Volker gestern berichtet hatte, war der Großteil einer minimalen Neigung des Hanges zur linken Seite des Schachtes gefolgt, um au8f der unteren Ebene des Schachtes in dem Spalt zu versickern, der sich im Boden aufgetan hatte. Zu unserer Überraschung war der Spalt größer geworden. Der Geologe machte sich sofort daran, die Stabilität der Höhle erneut zu prüfen.

Ein Boden des Schachtes war noch immer nicht erkennbar, aber wenn man eine Weile lauschte, vernahm man leise das entfernte Rauschen unterirdischer Wasser. Irgendwo dort unten musste ein Fluss sein.

Der Säulenplatz wies nur eine Handvoll kleiner Pfützen auf, wo das Wasser über die Treppe geflossen war. Hier konnte man nun deutlich eine minimale Steigung erkennen, die zu den Säulen und dem Tunnel führte. Hier war alles trocken geblieben.

Volker bestand darauf, dass ich ihn in die Kuppelgrotte begleitete, obwohl mir nach der unruhigen Nacht und der schweren Arbeit so gar nicht danach war, die verabscheuungswürdige Statur zu sehen, doch der Archäologe ließ nicht locker und ich gab nach. Er führte mich direkt zum Götzenbildnis. Mein Puls beschleunigte, je näher wir der Statur kamen.

Volker machte eine ausladende Geste: „Sieh sie dir an. Ist sie nicht wunderschön?“, sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an.

Ich starrte zwischen ihm und dem Stein gewordenen Schrecken hindurch, um nicht die schreckliche Fratze des Götzenbildnisses sehen zu müssen, aber auch nicht unhöflich zu wirken.

„Ich kann deine Auffassung leider nicht teilen“, entgegnete ich trocken.

Der Archäologe warf mir einen entrüsteten Blick zu. „Sie ist perfekt! Sieh sie dir doch an.“ „Um ehrlich zu sein, ich finde sie furchtbar.“

„Du bist ein Banause“, ereiferte er sich, „Du erkennst ihre Schönheit und Ästhetik nicht, weil du nicht über den Tellerrand deines einfachen, kleinen Lebens blicken kannst“, seine Stimme hatte etwas Schwärmerisches als er fortfuhr, „Sie verkörpert alles, was wir uns wünschen: Fruchtbarkeit, Partnerschaft, Nachkommen, Familie, Heimat, einfach ein gutes Leben. Sie ist der Archetyp der Weiblichkeit, mit allen Attributen in einer Person.“

Er warf mir einen begeisterten Blick zu und gestikulierte nun bedeutsam mit den Armen in der Luft: „Leben und Sterben. Sie ist das Urprinzip des Lebens. Alles was uns ausmacht, was uns zu Menschen macht, sei es im Guten oder im Schlechten. Das ist doch unglaublich anziehend!“

Eigentlich fand ich das eher erschreckend und verstörend, wenn einem Lebewesen so viel Macht zugesprochen wurde, aber das behielt ich für mich. Stattdessen räusperte ich mich skeptisch: „Ich werde sie dir sicher nicht streitig machen.“

Volkers Mine verdunkelte sich und seine Augen glitzerten in plötzlichem Zorn: „Das will ich dir auch geraten haben“, knurrte er, mit zu viel Überzeugung in der Stimme, als dass man es als Scherz werten konnte.

Das konnte er doch unmöglich ernst meinen.

Ich kehrte dem Götzenbildnis den Rücken und fuhr erschrocken zusammen, weil die Schatten in meinem Augenwinkel zu bizarrem Leben erwachten.

Es wurde Zeit, dass ich hier raus kam, bevor meine Fantasie wieder mit mir durchging.

„Willst du etwa schon gehen?“, fragte Volker enttäuscht. Der Stimmungswandel passte überhaut nicht zu seinem vorangegangenen Zorn. Mit Mühe riss er sich vom Antlitz der Statur los und warf mir einen Blick zu, den ich kaum deuten konnte.

Ich zuckte mit den Achseln: „Eigentlich schon. Durch den Erdrutsch in der Doline habe ich noch mehr Papierkram zu erledigen und ich komme so schon kaum hinterher.“

„Warte, ich muss dir noch etwas zeigen“, bat der Archäologe.

„Na gut“, lenkte ich ein, „Aber bitte schnell.“

„Nachdem du gestern weg warst, haben wir die Menhire noch einmal genauer untersucht und ein sehr interessantes Ritzmuster auf der jeweils der Seite gefunden, die nach außen gerichtet ist.“ „Das klingt wirklich interessant.“ Meine Neugier war nun tatsächlich geweckt, was man meiner Stimme auch anhören konnte. Immerhin hatte es nichts mit dem Götzenbildnis zu tun. Volker führte mich aus dem verbrannten Ring. Er zog eine kleine LED-Taschenlampe aus der Hosentasche und leuchtete den Felsen in einem sehr kleinen Winkel an, beinahe parallel zum Stein. Die raue Oberfläche warf Schatten, die nach einigem Hinsehen ein regelmäßiges Muster offenbarte, das allerdings stark verwittert war.

Der Archäologe ließ den Lichtkegel über den Stein gleiten und erweckte ein unsichtbares Wellenmuster zum Leben. „Erstaunlich!“, bestätigte ich mit einem Anflug von Begeisterung. In meinem Augenwinkel schien sich erneut etwas zu bewegen, doch ich wiederstand der Versuchung den Kopf zu drehen und in die Richtung zu schauen.

„Jeder Menhir weist eine individuelle Gravur auf. Wir haben noch nicht alle erfasst, aber bis jetzt haben wir Wellenmuster, Kreuzmuster und parallele Linien, die jeweils mit Kreisen, Rauten oder Punkten kombiniert wurden. Aber das faszinierendste sind die beiden Felsen, die dem Tunnel am nächsten sind. Er zeigte auf die gemeinten Hinkelsteine und wir umrundeten den Kreis und steuerten auf einen der besagten Hinkelsteine zu. Dort angekommen erweckte der Archäologe erneut das unsichtbare Muster in der Oberfläche zum Leben.

„Eine Spiralform“, sagte er triumphierend, „Wie bei den Säulen im Eingangsbereich.“ Ein eisiger Schauer jagte mir den Rücken runter. Ich hatte den vagen Eindruck, dass diese Übereinstimmung bedeutsamer war, als es oberflächlich schien.

„Welchen Schluss zieht ihr aus der Wiederholung des Musters?“, fragte ich.

„Wir vermuten, dass sie den Eingang kennzeichnen sollten“, antwortete Volker.

Wieder bewegte sich etwas in meinem Augenwinkel und ich bildete mir ein, dabei ein schleimiges Geräusch zu hören. Gänsehaut breitete sich kribbelnd über meinen Körper aus und ich zuckte fröstelnd zusammen. Es wurde höchste Zeit für mich, endlich den Rückweg anzutreten. „Das ist verdammt interessant. Ich fürchte, ich muss nun trotzdem verlassen. Der Papierkram“, entschuldigte ich mich mit einem gequälten Lächeln.

Der Archäologe warf mir wieder einen enttäuschten Blick zu: „Du willst wirklich schon gehen? Ich hab auch Fortschritte bei den Felszeichnungen gemacht.“

Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, die müssen bis morgen warten. Um ehrlich zu sein, hatte ich eine schlechte Nacht und die Reparaturen heute Morgen waren wirklich nicht förderlich für einen langen Abend mit Büroarbeit.“

Ein Grinsen legte sich über Volkers Lippen: „Na, dann hau schon ab. Bevor du mir wieder Dornröschen spielst.“ „Vielen Dank für dein Verständnis“, antwortete ich zerknittert und trat auf den Tunnel zu. „Frag doch mal nach, wann der Experte endlich kommt, um die Statur zu restaurieren.“

„Geht klar“, antwortete ich, winkte dem Archäologen zu und wandte mich gleichzeitig ab, um so schnell wie möglich aus der Höhle zu kommen.

geschichte/krealithikum/kapitel_7.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 22:56 von lou