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reihe:something_worse:staffel_1-teil_1

Der Komponist


Noch am Anfang meiner Lebensreise befand ich mich in einem dunklen Walde.

Ich weiß nicht mehr genau warum, wobei es auch keine große Rolle spielt. Vielleicht war es eine Waldparty, möglicherweise war ich mit meiner Freundin dort, aber auf jeden Fall war ich zu einem gewissen Zeitpunkt allein und niemand hatte eine Vorstellung davon, was ich damit auslösen würde.

Ich war niemals ein ängstlicher Typ, ich hatte beispielsweise keine Angst davor, nachts allein im Wald zu stehen, ich wohnte in der tiefsten Provinz und wusste, dass es in meinem Teil der Welt weder Wölfe in den Wäldern noch irgendwelche Anstalten gibt, aus denen Geisteskranke ausbrechen könnten. Ich sagte immer scherzhaft, dass ich der erste wäre, der im Horrorfilm umgebracht werden würde, da ich keine Angst hätte und nicht an Geister und Monster glauben würde.

Nun jedoch war ich alleine im Wald.

Na großartig, dachte ich, hoffentlich muss ich nicht die ganze Nacht damit verbringen, ‘nen Ausgang aus diesem scheiß Wald zu suchen! Dennoch blieb mir nun mal nichts anderes übrig und so machte ich mich auf den Weg.

Ich begann loszulaufen, spürte - und hörte - das Unterholz unter meinen Füßen brechen, ebenso an entfernteren Stellen. Ich bekam Angst. Keine große Angst, denn ich wusste, dass die Geräusche des Waldes ganz normal waren, nachtaktive Tiere, vielleicht Rehe oder so ähnlich, trotzdem konnte ich den Urinstinkt aller Lebewesen nicht unterdrücken, mir war nun mal partout nicht wohl dabei, nachts alleine durch einen Wald zu spazieren.

Nun amüsierte ich mich über mich selbst, wann war ich so ein Angsthase geworden? Vielleicht war ich ja in einem Horrorfilm, huuuu gruselig, ich stellte mir eine gruselige Melodie vor, um die Parodie der eigenen Angst noch zu unterstreichen.

So lief ich eine Weile vor mich hin, die Melodie, die ich mir ausgedacht hatte, vor mich hin pfeifend. Irgendwann konnte ich nicht mehr damit aufhören, sie war in meinem Kopf verankert, ein klassischer, nervtötender Ohrwurm.

Dann hörte ich ein Knacken in meiner Nähe. Ich dachte mir nicht viel dabei, solche Geräusche gab es im Wald nun mal, dieses Mal hörte es sich aber so an, als sei etwas Schwereres auf einen Ast getreten. Ich sah mich um, irgendwo sah ich einen Schatten. Es musste ein Tier sein, war dafür jedoch ziemlich humanoid.

Ich sehe schon Gespenster, dachte ich und lief weiter, doch irgendetwas stimmte nicht. Die Melodie in meinem Kopf wurde lauter, schneller, beunruhigender, und ich begann zu rennen. Ich wollte raus aus dem Wald, wollte nach Hause, wollte diese Melodie aus dem Kopf kriegen und dann sah ich es.

Ein Ausgang, ich konnte endlich raus aus dem Wald. Ich sah eine Wiese und einen Bach, wie sie im Mondschein schimmerten, doch für die schöne Nacht hatte ich keine Augen, ich wollte nur noch weg, nichts außer weg, und so rannte ich kompromisslos und immer schneller. So merkte ich nicht einmal, als ich in einer Wurzel hängen blieb und fiel. Ich blieb eine Weile liegen, während die Melodie in meinem Kopf keine Anstalten machte zu verstummen. Als ich voller Sehnsucht nach Hause aufstehen und endlich gehen wollte, versperrte mir ein hochaufragender Schatten den Weg nach draußen.

Als er ins schwach durchschimmernde Mondlicht trat, dachte ich, ich muss mich übergeben. Was es auch war, es hatte ein schwarzes Gesicht und weder Augen noch Nase, nur drei Münder… Mäuler, die sich quer darüber zogen, außerdem hatte es lange, struppige Haare. Es hatte Hufe statt Füßen und statt Armen hatte es… Flügel oder Dinge, die Flügeln ähnlich sahen, sie umgaben den Körper des Wesens wie ein Mantel. An diesem Körper pulsierten von oben bis unten Adern.

„Das ist alles nur eine Halluzination, alles nur in meinem Kopf!“ sagte ich mit zitternder Stimme. “Da hast du Recht“ grinsten die Mäuler des Wesens, „Es ist alles nur in deinem Kopf. Wie findest du meine Sinfonie? Ich habe lange daran gearbeitet.“ Dann spreizten sich seine Flügel und ein einzelner Tentakel, an dem ein langer Stachel angewachsen war, kam hervor, offenbar aus dem Rücken des Monsters. Ich starrte den Stachel wie gebannt an. „Keine Sorge“ sagte das Wesen. „Ich bin ein Künstler, ich werde dir nichts tun, wenn du das nicht willst!“ Und es begann mit dem Stachel in der Luft herumzuwedeln. Die Melodie in meinem Kopf wurde nun noch grausiger und einnehmender, sie war kaum erträglich, erst jetzt realisierte ich, dass sie niemals aufgehört hatte, und ich begriff.

Das Wesen - der Künstler - dirigierte die Musik in meinem Kopf, sie war kein spontaner Einfall oder Ohrwurm, sondern kam von dieser Kreatur. Ich stand auf und rannte, rannte wieder in den Wald, es war überall besser als in seiner Nähe, der Künstler versuchte nicht, mich aufzuhalten. Während ich verzweifelt flüchtete, wurde die Melodie jedoch nicht besser, sie wurde immer schlimmer. Sie war tief, düster, beunruhigend und gleichzeitig schrill und kreischend, sie wirkte wie Chaos, war aber wohl durchdacht und durchkomponiert. Unter normalen Umständen hätte ich anerkennen müssen, dass nur ein unglaubliches Genie von einem Komponisten so etwas erschaffen könnte.

„Hast du Angst vor mir?“, fragte eine Stimme in meinem Kopf, zweifellos SEINE Stimme. Ich hatte keine Angst vor dem Wesen, nur vor der Melodie, sie löste all diese Angst in mir aus. „Es ist erstaunlich, welche Macht Musik hat, nicht wahr? Nur wenige Dinge können Gefühle derart kontrollieren, und ich biete dir nun etwas, das du durch bloßes Hören von Musik niemals erleben könntest!“ Und dennoch hörte ich sie deutlich, obwohl sie sich nur in meinem Kopf abspielte. Eine solche Melodie - Sinfonie, wie es sie nannte - hätte ich mir zuvor nicht einmal vorstellen können, und nun steuerte sie ihrem Höhepunkt zu.

Ich spürte, wie meine Beine nachgaben. Die Sinfonie nahm jeden Winkel meines Verstandes ein und ich fühlte, wie sich Angst und Übelkeit, die dadurch ausgelöst wurden, ins Schmerzhafte steigerten, ich übergab mich auf den Waldboden, rollte mich und schrie unkontrolliert, ich konnte nicht mehr denken, konnte nicht fühlen, ich hatte keine Erinnerung mehr, wie alles passierte, ich vergaß meine Vergangenheit, sogar wer ich war, es gab nur noch die grausame Sinfonie. Ich hörte meinen Verstand mit lautem Krachen zerbrechen und sah vor meinem inneren Auge, wie meine geistige Gesundheit sich in Rauch auflöste.

Während die Sinfonie mich quälte, hörte ich, wie ihr Komponist sich mir mit stampfenden Schritten näherte. Angst, Panik, Übelkeit und Schmerz brachten mich nun langsam an den Rand der Katatonie.

Inmitten des Chaos meines nicht mehr vorhandenen Verstandes fiel mir nur ein einziger Ausweg ein und ich wandte mich dem Monster, das dafür verantwortlich war, zu. „Töte mich!“ quetschte ich hervor. „TÖTE MICH!“ „Wenn du willst“, sagte der Komponist vollkommen nüchtern und stieß mir seinen Dirigentenstab in den Bauch.

Ich heulte auf vor Schmerz, doch die Musik in meinem Kopf wurde leiser, wenn auch nur geringfügig, ich konnte genügend klare Gedanken fassen, um zu verstehen.

Ich werde dir nichts tun, wenn du das nicht willst!‘ hatte er gesagt, jetzt wurde mir klar, dass diese sadistische Bestie alles geplant hatte. Sie hatte geplant, denjenigen, der das Pech hatte, sie zu treffen, so zu malträtieren, dass er um den Tod betteln würde, ich war für ihn nur ein Spielzeug, eine Note, die der Komponist nach Belieben spielen und auf einer Partitur eintragen könnte. Der Künstler hatte meine Gedanken mitbekommen und seine drei Mäuler geiferten vor Lachen. „Sei doch froh!“, höhnte er „Du stirbst für die Kunst, gibt es etwas Ehrenwerteres? Meine kostbare Sinfonie wird nicht lange in deinem Kopf bleiben, sie wird sich schon bald neue Köpfe suchen, daher hole ich sie am besten raus“. Ich sah noch einmal sein Gesicht, wie die drei Mäuler boshaft grinsten und seine pulsierenden Adern im gebrochenen Mondlicht des Waldes hervortraten. Dann hielt er seinen Dirigentenstab-Tentakel direkt vor meine Stirn. Er holte nach hinten aus und stieß zu, danach folgte nichts als Finsternis.


Anmerkungen:

Kreaturen:

Der Komponist - Urheber NegativeRoot

Cameos:

keine

Änderungen zwecks Canonisierung:

keine

reihe/something_worse/staffel_1-teil_1.txt · Zuletzt geändert: 22.08.2021 21:21 von nex