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reihe:something_worse:staffel_1-teil_5

Aus dem Gedächtnis der Zeit


„Wer er ist…! Woher er kommt…!“ ein kaltes, mechanisches Piepen erfüllte den weißen, durch Vorhänge verdunkelten Raum. Seit einigen Wochen war dieses Piepen regelmäßig, was umso besser für den Mann in komatösem Zustand war, der auf dem Bett lag und dessen Herzfrequenz gemessen wurde.

„Wer er ist…! Woher er kommt…!“ das flüstern des Mannes aus seinen Komafantasien heraus war neu in dieser Geräuschkulisse, die sonst nur aus Herzfrequenzmessern und Beatmungsgeräten bestand. „Wer er ist…! Woher er kommt…! Wer er ist! WER ER IST!!!“ Die Herzfrequenz erhöhte sich drastisch und die mechanischen Atemzüge wurden immer unregelmäßiger. „Wer er ist…! Wer! Wer..! WER…!“ Aus dem anfänglichen Flüstern war mittlerweile Zimmerlautstärke geworden und langsam schien es so, als würde die Beatmungsmaschine nicht mehr die ganze Arbeit machen.

Dann schlug der Mann die Augen auf. Er nahm einen tiefen Atemzug und setzte sich für seine Verfassung viel zu schnell auf. Nun setzte er zu einem Schrei an: „ALEX!!!“


Alex Nadezha saß in der durch die Mittagssonne erleuchteten Bibliothek seiner Fakultät. Er grübelte missmutig über alten Geschichten und Erzählungen. Aus dem Fenster beobachtete er den regen Betrieb der Universität, denn er konnte sich nicht auf die Arbeit vor ihm konzentrieren.

Er versuchte krampfhaft, sich mit diesen alten Volkssagen zu beschäftigen, einerseits weil er aufgrund seines Studiums eine Arbeit darüber schreiben musste und andererseits um sich abzulenken.

Seit drei Monaten lag sein Vater nun im Koma. Die Ärzte sagten, dass sein Zustand mittlerweile stabil wäre aber sie konnten nicht sagen, ob er je wieder aufwachen würde. Alex‘ Vater war gleichzeitig sein Dozent, davon wussten aber nur wenige.

Er hatte immer ein gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, sie hatten allerdings beschlossen, auf dem Campus füreinander nur Professor und Student zu sein. Dennoch war er immer noch sein Vater und seine Sorge um ihn wuchs mit jedem Tag, mit dem sein Vater im Koma lag und Alex schaffte es weniger und weniger fokussiert zu lernen und zu arbeiten.

Jemand tippte ihn an der Schulter an, wodurch er hochschreckte. „Tut mir leid“ sagte eine Stimme hinter ihm im Flüsterton. Alex drehte den Kopf und sah einen jungen, blonden Mann, der etwa sein Alter hatte und weiße Kleider trug. „Bist du Alex Nadezha?“ „Ja“ gab Alex erstaunt zurück. Der Junge wies ihn durch eine Handbewegung an, ihm zu folgen.

Sie verließen den Lesesaal der Bibliothek in der einige Studenten über ihren eigenen Problemen grübelten, als man wieder normal miteinander reden konnte sagte der Junge: „Man hat mir gesagt, dass ich dich hier finden würde.“ „Ich kenne dich nicht, du bist nicht in dieser Fakultät oder?“ fragte Alex. „Nein ich komme von der Uniklinik“ war die Antwort „Ich habe gute Nachrichten für dich Alex, dein Vater ist aus dem Koma erwacht!“

Alex‘ Gesicht hellte sich auf, das war jedoch kein Vergleich dazu was er eigentlich empfand. Er hatte das Gefühl, das Gesamtgewicht der Bibliothek würde von ihm abfallen. „Wirklich…?“ Etwas anderes bekam er nicht heraus. Der Sanitäter nickte, dann begann Alex zu sprudeln wie ein Wasserfall: „Seit wann? Wie geht’s ihm? Kann ich ihn besuchen?“ „Immer langsam!“ lachte der Sanitäter „zuerst einmal habe ich hier was für dich!“ Er öffnete seine Jacke und holte ein Buch aus der Innentasche. „Was ist das?“ fragte Alex. „Keine Ahnung“ der Sanitäter zuckte mit den Schultern „aber dein Vater hat mir gesagt, ich soll es aus seinem Büro holen und als ich’s ihm gebracht habe, hat er etwas hineingeschrieben und gesagt, ich soll es dir bringen, da hab ich ein bisschen rumgefragt und naja, hier hast du’s.“ „Danke“ sagte Alex verwundert und nahm das Buch an. „Ach und was die Besuchszeiten angeht“ begann der Sanitäter „tja die hast du um ‘ne halbe Stunde verpasst, die nächste ist erst wieder in zwei Stunden“ der blonde Junge nahm einen entschuldigenden Ausdruck an. „Kein Problem“ sagte Alex lächelnd „vielen Dank für die Nachricht“ „Gern geschehen“ Sagte er, winkte zum Abschied und ging.

Alex kehrte zu seinem Platz im Studiersaal zurück und sah sich das Buch an. Es war kein steinalter Wälzer sondern ein Taschenbuch. ‚Aus dem Gedächtnis der Zeit - Volkssagen und Überlieferungen aus aller Welt‘ lautete der Titel. Unten rechts hatte der Einband die Aufschrift ‚0. Auflage‘

Er stutzte. Er kannte dieses Buch. Er besaß selbst ein Exemplar aber in der 34.Auflage, er hatte noch nie davon gehört dass dieses, oder irgendein anderes Buch, eine 0. Auflage besaß. Als er das Buch aufschlug erkannte er auf der ersten Seite die zittrige Handschrift seines Vaters:

‚Alex

Lies die letzte Geschichte, dann lass alles stehen und liegen und komm zu mir! Wir fahren noch heute ins HQ!

Dein Vater‘

Das half nicht gerade um Alex‘ Verwirrung zu lindern. Was meinte sein Vater mit HQ? Das SCP-Hauptquartier? Dorthin hatte er ihn bisher nur ein einziges Mal mit hingenommen und er war stets darauf bedacht gewesen, dass Alex nichts sah, was er nicht sehen sollte.

Er beschloss, dass er tun würde, was sein Vater verlangte und so blätterte er um und sah sich das Inhaltsverzeichnis an. Da waren Hänsel und Gretel, die Arthussage, die Legende von Niulang und Zhinü und einige mehr. Die 19. Geschichte war jedoch unterstrichen. Soweit Alex sich erinnern konnte, hatte seine Ausgabe aber nur 18 Geschichten. Er musste über diesen Gedanken grinsen. „Man kann das Klischee auch absichtlich bedienen“ flüsterte er. Naja, wenigstens war es nicht die 13. Geschichte.

Und so blätterte Alex weiter bis zur 19. Geschichte und begann zu lesen.


Der Krieger und das Götterbiest

Verfasser: Unbekannt

Originalsprache: Unbekannt

Herkunft: Unbekannt

Zeitraum des Erscheinens: Unbekannt


Es begab sich zu einer Zeit, da die Welt durch und durch schlecht war. Bruder bekämpfte Bruder, die Hände wurden nur nach Gold ausgestreckt und die Geißel quälte die Schwachen und machte die Grausamen zu Herren. Krieg schüttelte die Länder und Elend und Tod wurde von Holz und Eisen von Ort zu Ort getragen. Gnadenlos waren die Regenten und was den Menschen einst heilig war wurde entweiht und verhöhnt. Die wenigen Milden und Gutherzigen auf der Welt wurden verspottet, gedemütigt und benutzt. In den Städten wurden rauschende Feste der Grausamkeit, Ekstase und Perversion gefeiert und Schmerz und Tod und Fleisch wurde zur größten Erquickung der Menschen.

Es geschah, als die wenigen Barmherzigen dachten, es könne nicht mehr schlimmer werden als sich der Himmel teilte und eine Kreatur entblößte, schlimmer als das ewige Feuer selbst.  Lila war sie, wie die Gedanken des Bösen und ihre Schwingen erstreckten sich von Land zu Land und von Meer zu Meer.

Sie durchstieß das Himmelszelt und flog über die Lande der Menschheit. Was immer sie erblickte stürzte sie in Tod, Verderben und Chaos. Wenn ein Mensch es wagte, sie direkt anzusehen so wurde er von den kalten Klauen des Wahnsinns gepackt und wenn jemand in ihrer Gegenwart starb, so würde er zu keiner Zeit Frieden finden. Denn eine jede Seele die ihren Körper verließ würde das Jenseits niemals erreichen, das Wesen würde die Seele stehlen und sie zu einem Teil seines Körpers machen, denn der Körper der Bestie bestand aus Seelen. Aus den Seelen zahlloser Elender, dazu verdammt in alle Ewigkeit als Teil des schrecklichen Wesens zu Leiden.

Mit einem Schwung ihres Flügels hätte die Kreatur die Welt zweifellos von ihren Säulen stoßen können, doch sie entschied sich, Mensch und Tier in Angst und Verzweiflung leiden zu lassen. Die Menschen flehten um Gnade, beteten zu den Göttern die sie zuvor verhöhnten, zogen zu tausenden in die Schlacht um einen verzweifelten Krieg gegen das Wesen zu führen, verschlagene Fürsten versuchten die Kreatur auf ihre Seite zu ziehen, Zauberer versuchten, der Kreatur mit ihrer Kunst etwas entgegenzusetzen. Doch nichts half und so wurden die Heere der Menschheit hinweggefegt, alles Flehen blieb unerhört, die Fürsten und Zauberer starben noch beim Versuch und die Götter blieben stumm. Es schien als wäre dieses Grauen, dieser eine furchtbare Gott der Herrscher des Himmels.

Und so brachte es mehr und mehr Tod. Es verschlang tausende und abertausende von Seelen und mit jeder Seele schien das Wesen stärker zu werden. Und die Menschen weinten und litten, sie bereuten, sie töteten sich selbst und andere in Wahnsinn und Furcht und zuletzt verloren ihre Herzen jede Hoffnung auf Erlösung.

Da erhob sich ein mutiger Krieger. Einer der die Menschheit niemals aufgegeben hatte, wie schlecht sie auch immer gewesen sein mochte. So war er auch jetzt nicht bereit, seine Welt sterben zu lassen. Furchtlos und mit blankem Schwert forderte der Krieger die Kreatur zum Zweikampf heraus. Diese verspottete ihn für seine Kühnheit und dennoch nahm sie die Herausforderung an.

Ein Kampf entbrannte, der für alle Zeit seines Gleichen suchen wird. Sieben Tage und Nächte bekämpften sich der Krieger und das Götterbiest erbarmungslos. Schwertstreich folgte auf Schwertstreich, Flügelschlag auf Flügelschlag und wie gebannt sahen die wenigen verbleibenden Menschen beim Kampf um ihr Schicksal zu.

Schließlich, als der achte Tag dämmerte, gelang es dem Krieger mit einem letzten Hieb des Schwertes, seinen Feind niederzuwerfen. Und so errang er den Sieg über das schrecklichste Übel, das die Welt je heimsuchte.

Die Bestie jedoch, wissend, dass sie ihrem Tod ins Auge blickte, griff zu ihrer letzten verzweifelten List. Mit ihrer eigenen Seele, mit jener, die im Zentrum stand und die all die anderen Seelen zusammenhielt, verließ sie ihren Körper und fuhr in den Leib des Kriegers.

So geschah es, dass ein neuer Kampf begann, ein Kampf im Körper des Kriegers, doch dieser war anders. Der Edelmut und die Reinheit des Mutigen nützen ihm bei diesem Gefecht nichts und so wurde die Seele des Kriegers schnell aus ihrem Leib gestoßen. Mögen die Götter ihr Frieden schenken.

Der Körper des Kriegers jedoch war nun in des Wesens Gewalt. Sein edles Blut färbte sich lila wie die Kreatur und sein Fleisch begann zu zerbersten und aufzureißen, Wunden entstanden, die in derselben Farbe leuchteten. Und die Bestie ließ den Krieger grausam Lachen. Der einst so Edle und Mächtige lachte über den Triumph des Bösen. Nun, da die Kreatur den Sieg errungen hatte, wollte sie den Körper des Kriegers wieder verlassen und in ihren eigenen Körper zurückkehren.

Da erschien ein mächtiger Zauberer. Die Kreatur war nun getrennt von all ihren zahllosen Seelen und war alleine im Leib eines Menschen und so war sie gegen die menschliche Magie nicht gewappnet. Und so geschah es, dass der Zauberer einen Fluch über die Bestie im Körper des Menschen aussprach.

Solange dieser Fluch wirkt, soll die Kreatur den Körper des Menschen nicht verlassen können. Solange dieser Fluch wirkt soll die Kreatur erneut als Mensch geboren werden, sobald ihr fleischlicher Kerker sein Ende findet und sie soll wieder als Mensch geboren werden wenn der nächste stirbt. Solange dieser Fluch wirkt, soll die Kreatur sich an nichts erinnern, wann immer sie wiedergeboren wird. Solange dieser Fluch wirkt soll sie niemals wieder die Seele eines Menschen oder eines Tieres stehlen können. Es war wahrlich, der stärkste Fluch, der jemals von einem Menschen ausgesprochen wurde.

So war das Wesen seiner Macht beraubt und gefangen im Körper seines Feindes und mit nichts als seinen Hass. In ihrer Ohnmächtigen Wut stach sie dem Zauberer ein Auge aus, doch es war zu spät. Sie war für alle Zeit gefangen.

Und so wandelt die Bestie noch heute unter uns. Wandelt unter uns als ein Wolf im Schafspelz, unwissend und im Zaum gehalten von einem Fluch den sie nicht spürt und den sie nicht brechen kann.

Und wenn sie es doch schafft? Wenn sie sich ihrer selbst erinnert und erneut beginnt Seelen zu jagen? Wenn sie den Fluch bricht und von neuem erstarkt?

Bewahre uns der Himmel davor.


Alex klappte das Buch zu. Er hatte Kopfschmerzen. Die Geschichte die er gerade gelesen hatte war eine typische Volkssage: Unrealistisch, überzogen und voller Widersprüche. Ein Teil von ihm fragte sich, wie ein einzelner Mensch gegen etwas kämpfen konnte, das so groß wie ein Kontinent war, geschweige denn, wie er auch noch gewinnen konnte.

Viel interessanter war jedoch die Frage, wieso sein Vater wollte, dass Alex ausgerechnet diese Geschichte las. Er wusste, dass sein Vater als Kopf der SCP-Organisation mit Kreaturen zu tun hatte, die offiziell nicht existierten, aber er hatte noch nie von so etwas Mächtigem gehört. Noch niemals von etwas was man als gottgleich bezeichnen könnte.

Erst jetzt bemerkte Alex, dass er sich auch noch nie so richtig die Frage gestellt hatte, warum sein Vater im Koma gelegen hatte. Könnte es tatsächlich möglich sein, dass an dieser Geschichte mehr dran war als man meinen könnte? Könnte der Angreifer seines Vaters wirklich…?

Alex stand auf und ging zur Toilette, er drehte den Wasserhahn auf und wusch sein Gesicht. Wenn es so war wie er dachte, würde das SCP-Hauptquartier sofort und persönlich davon erfahren wollen, was erklären würde warum sein Vater unbedingt hinwollte. Aber könnte es wirklich so sein?

Ihm war klar, dass man diese Geschichte nicht allzu wörtlich nehmen durfte. Trotzdem, wenn man sich entschied dem Ende zu glauben, dann wäre es nicht allzu abwegig. Alex sah in den Spiegel. Wenn man dem Ende glaubte könnte es jeder sein. Wirklich jeder. Während er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er eine Weile nicht mehr richtig geschlafen hatte und dass sich schon zwei Augenringe in seinem Gesicht abzeichneten.

Das waren aber in diesem Moment keine angemessenen Gedanken. Alex beschloss alles stehen und liegen zu lassen, wie sein Vater gesagt hatte und zu ihm zu gehen. Er wollte lediglich das Buch mitnehmen. Er verließ die Toilette gerade rechtzeitig um nicht zu merken, wie sich eine der Türen zu den Toiletten öffnete.

Der Junge, der ihm das Buch gegeben hatte trat heraus. Er hatte sich umgezogen und die weiße Sanitätskleidung hing über seinem Arm. Sein Gesicht und seine Haare waren nass, da er das blonde Haarspray herausgewaschen und das Make-Up, das er um seine Augen verteilt hatte entfernt hatte. Nun sah man, dass seine Haare so schwarz wie seine Augenringe waren, viel dunkler als die von Alex. Als dieser hereinkam konnte der Junge gerade noch vom Waschbecken in eine der Zellen flüchten. Hätte Alex ihn gesehen wäre alles hinfällig geworden.

Den echten Boten des Buchs hatte er weder getötet noch verletzt, dass hätte die Lage nur unnötig kompliziert und verdächtig gemacht. Er hatte ihn mit einer lächerlich hohen Summe bestochen, für die eine reiche, alte Witwe ein paar Städte weiter ihr Leben lassen musste.

Als er sicher war, dass Alex schon weit genug weg war machte er sich daran, die Bibliothek zu verlassen und als er heraustrat, sah er wie sich sein Ziel bereits auf dem Weg zur Uniklinik befand.

„Ausgezeichnet“ flüsterte der Junge mit einem boshaften Grinsen auf den Lippen „du wirst mich direkt zu ihnen führen!“ Und Something Worse, der Bezwinger des Slenderman begann damit Alex Nadezha zu folgen.


Anmerkungen:

Kreaturen:

Alex Nadezha - Urheber: Negative Root

Cameos:

keine

Änderungen zwecks Canonisierung:

Da die Sage nicht darauf eingeht, wird hier festgehalten, dass Something Worse von außerhalb der Erde kam, um seine Terrorherrschaft auszuüben. Woher er kam ist unbekannt.

reihe/something_worse/staffel_1-teil_5.txt · Zuletzt geändert: 22.08.2021 21:23 von nex