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Alice - Erster Akt

In einem kleinen, trockenen Kellerraum liegt ein schwarzhaariges, junges Mädchen auf einem unbequemen Bett und wartet. Sie wirkt genervt. Wie ein Fremdkörper erscheint sie in diesem Zimmer, das so gar nicht zu ihr passen will.

Immer wieder bleibt ihr Blick an der Uhr hängen, die nur schemenhaft im Zwielicht zu erkennen sein kann. Das monotone Ticken ist das einzige Geräusch, das die Stille durchbricht und das Mädchen wirkt zunehmend gereizt davon.

Schließlich steht sie auf, wandert durch den Raum zur Tür, lauscht einen Augenblick, ob auf der anderen Seite etwas Verdächtiges zu hören ist und schaltet das Licht ein. Einen kurzen Moment lang ist sie geblendet und kneift die Augen zusammen, dann gewöhnt sie sich an die matte Helligkeit, der kleinen Deckenlampe. Der Kellerraum wirkt im Licht überraschend freundlich. So als hätte hier vor Kurzem noch jemand gewohnt, der mit ärmlichen Mitteln das Beste aus dem Zimmer zu holen versuchte. Die Möbel sind ein Sammelsurium verschiedener Ikea-Reihen, allesamt aus Kiefernholz. Ein kurzer Vorhang aus dickem Samt verdeckt zur Hälfte ein kleines Fenster aus Glasbausteinen, das eben noch diffuses Zwielicht einließ, jetzt jedoch im Schein der Lampe eine dunkle, undurchsichtige Fläche bildet. Darunter hockt ein klobiger, alter Nachtspeicherofen, der seine Wärme im Raum verteilt.

Die Wände sind in einem warmen orange-Ton gestrichen, der Boden mit einem hochwertigen PVC-Boden in Fliesenoptik gestaltet. Es gibt ein winziges Waschbecken neben dem unbequemen Bett, ausgestattet mit einem Stück Seife und einem fleckigen, winzigen Handtuch. Gegenüber hängt ein bodentiefer Spiegel, neben einem zweiflügeligen Kleiderschrank. Eine Tür steht halb offen und gibt den Blick auf Hosen und Pullover frei, die dem Mädchen sogar passen könnten. Ihr Blick hängt kurz auf der Kleidung, ihre eigene ist zerschlissen, löchrig und starrt geradezu vor Dreck, dann geht sie zur Uhr hinüber. Auf Zehenspitzen versucht sie das Gerät von seinem Platz zu lösen, doch sie ist zu klein. Das Mädchen zaubert ein großes Küchenmesser aus dem Hoodie und löst die Uhr mit der Verlängerung von seinem Haken. Zufrieden steckt sie das Messer wieder ein und dreht das tickende Ärgernis kurz verächtlich in den Händen, dann schmettert sie die Uhr mit Wucht auf den Boden. Die Plexiglasabdeckung platzt mit einem lauten Bersten. Die Batterien springen aus ihrem Fach und kullern davon, eine Handvoll Plastikteilchen verteilen sich über das Fliesenmuster.

Jetzt ist es still im Raum. Das Mädchen wirkt zufrieden. Doch so bleibt es nicht lange. Auf der anderen Seite der Tür wird ein Schlüssel im Schloss gedreht. Das Mädchen weicht in die Mitte des Zimmers zurück. Ein hochgewachsener Mann mittleren Alters betritt das Zimmer. Er trägt ein gemütlich wirkendes Holzfällerhemd, blaue Jeans und schwarze Hausschuhe. Zwischen den Riemchen kucken wollene Socken hervor. Sein Blick streift die zerstörte Uhr kurz und teilnahmslos, bevor er sich auf das Mädchen konzentriert.

„Wie geht es meiner kleinen Einbrecherin?“

Das Mädchen antwortet nicht, beäugt ihn nur misstrauisch.

„Möchtest du mir nicht sagen, wie du heißt? Ich bin Christian.“

„Alice“, murmelt das Mädchen. Der Mann lächelt, doch es wirkt recht künstlich.

„Deine Augen sind sehr interessant. Rot und schwarz, das ist sehr selten. Weißt du wie es dazu gekommen ist?“

Alice deutet ein Schulterzucken an. Alles an ihr wirkt abweisend. „Du scheinst mir nicht zu trauen. Das kann ich dir nicht verdenken. Du bist bei mir eingebrochen und jetzt halte ich dich hier fest. Aber dein Misstrauen ist völlig unbegründet. Wenn wir uns erst besser kennengelernt haben, wirst du sehen, dass ich dir nichts tue“, Christian unterbricht sich, denn Alice weicht erneut einen halben Schritt zurück. Ihr Blick wandert kurz über seine Statur, als ob sie abschätzen wollte, wie ihre Chancen bei einer direkten Konfrontation stünden.

Christian macht eine beschwichtigende Geste.

„Das klang jetzt vermutlich ganz falsch. Ein erwachsener Mann, mit einem eingerichteten Kinderzimmer im Keller. Klar, dass du die falschen Schlüsse daraus ziehst. Aber so ist es nicht. Ich bin Arzt im „Psychologischen Kinder- und Jugendkrankenhaus St. Bernadette“. Da behandle ich Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft mit Beptus infiziert waren. Weißt du was Beptus ist?“

Alice deutet ein Kopfschütteln an. Ihre Mine bleibt unergründlich. „Beptus ist eine Fieberkrankheit, die unter gewissen Voraussetzungen Einfluss auf die Gene ungeborener Kinder nehmen kann. Häufig erkennt man dies an einer Veränderung der Irisfarbe in einem Auge, sodass beide Augen unterschiedlich gefärbt sind.“

Alice richtet sich etwas auf, scheinbar hat Christian ihr Interesse geweckt. In vertraulichem Plauderton fährt er fort: „Ich untersuche, welche Auswirkungen Beptus auf das Verhalten der Kinder hat.

Stressresistenz, Aufmerksamkeitsspanne, Intelligenz, Aggressionspotential, Empathie“, er merkt, dass er Alices Aufmerksamkeit wieder zu verlieren droht, deshalb fügt er schnell hinzu: „Ich versuche herauszufinden, ob Beptus-Kinder schneller wütend werden als normale Kinder, wie schlau sie sind und wieviel Mitgefühl sie besitzen. Das ist eine sehr wichtige Arbeit und du könntest mir dabei helfen. Ich bin auch kein Arzt, der Spritzen oder sowas benutzt, um seine Arbeit zu tun. Nichts, was dir wehtun könnte. Im Gegenzug hättest du eine Bleibe. Du lebst grade auf der Straße, habe ich Recht?“ Eine Pause entsteht. Alice rührt sich nicht. In der Stille knurrt ihr Magen vernehmlich.

„Du bist hungrig, natürlich bist du das. Auf der Straße ist es sicher schwer, satt zu werden. Ich bringe dir gleich etwas und dann erzähle ich dir mehr von meiner Arbeit und wie du mir-“

Weiter kommt er nicht. Ohne Vorwarnung zischt das Messer durch die Luft und bohrt sich fast frontal in den Hals des Arztes, der mitten im Satz unterbrochen wird und röchelnd nach Luft schnappt. Er hebt die Hand an den Hals, doch sie sinkt kraftlos wieder an seine Seite. In seinen Augen spiegeln sich Unglauben und Überraschung. Schon werden ihm die Knie weich, er geht zu Boden. Das Röcheln wird zu einem nassen Gurgeln. Nach wenigen Sekunden erstirbt auch dieses Geräusch und sein Blick zerfasert. Nur sein Körper zuckt noch eine Weile unter Krämpfen. Eine Blutlache bildet sich unter seinem Hals. Als sein Kopf zur Seite rollt, quillt auch aus Mund und Nase Blut.

Alice tritt an den Toten heran, zieht ein kleines Einmachglas aus dem Hoodie und öffnet es einen Spaltbreit. Ein sonderbares Geräusch vibriert einen kurzen Augenblick in der Luft und ein Lächeln gleitet über das Gesicht des Mädchens. „Danke für deine Lebensenergie“, murmelt sie. Das Einmachglas verschwindet wieder im Hoodie. Mit einiger Anstrengung zieht sie das Messer aus dem Hals des Toten. Sein Hemd lässt sich recht einfach aufreißen, die Knöpfe springen in alle Richtungen davon und kullern über den Boden. Den Bauch aufzuschneiden ist schweißtreibende Arbeit. Das Messer ist zu breit und unhandlich für die kleinen Kinderhände, um es effizient zu führen. Es dauert lange, bis Alice die Innereien einigermaßen sichtbar freigelegt hat und kein Blut mehr nachläuft, das ihr die Sicht auf die Organe versperrt. Sie entscheidet sich für die Leber, sägt einen Brocken aus dem Organ und schiebt sich das tropfende Stück sich zwischen die Zähne. Genüsslich kaut sie auf dem rohen Bissen herum.

Nachdem das Mädchen ihren Hunger gestillt hat, schlendert sie zum Kleiderschrank hinüber. Das Einmachglas wird sorgsam und vorsichtig vor dem Spiegel platziert. Eine durchsichtige milchige Wolke bewegt sich darin.

Hoodie und Hose sind nass und blutbesudelt. Alice entledigt sich dieser und wirft sie auf einen unordentlichen Haufen. Unter der Kleidung kommen Verbände zum Vorschein, die ihre Arme und Beine einhüllen. Auch sie sind nass vom Blut, genauso wie ihre Unterwäsche. In Ermangelung frischer Verbände wäscht sie ihre alten flüchtig in dem kleinen Waschbecken und hängt sie über den Nachtspeicherofen zum Trocknen. Um die Wartezeit zu überbrücken, wühlt sich das Mädchen durch den Kleiderschrank auf der Suche nach Ersatz. Erst sieht es so aus, würde ihr nichts gefallen, doch dann hält sie plötzlich einen abgetragenen, grauen Hoodie in Händen, auf dem mit schwarzer Schrift ihr Name eingraviert ist. Das scheint ihr zuzusagen, denn sie behält ihn. Auch eine frische Jeans in ihrer Größe findet sie. Etwas abgewetzt, aber frisch gewaschen.

Einige Zeit später verlässt Alice das Haus. Die Nacht empfängt sie mit warmer, weicher Dunkelheit, hier und dort durchbrochen von gelben Inseln aus Licht, wo die Straßenlaternen ihr einen Pfad erhellen, den sie nicht benötigt. Behutsam taucht sie in die Schatten der Häuser und folgt ihrem eigenen Weg.


Fußnote:

Autor:

AliceChan36

Veröffentlicht

Im Fandom Creepypasta Wiki 05.08.2014

Änderungen:

Wechsel der Erzählperspektive von Ich-Erzähler zum neutralen Erzähler

Setting detaillierter ausgearbeitet

Nebenfigur detaillierter ausgearbeitet

Dialog hinzugefügt, um Charakteraussehen und Informationen über die CWU-Welt einfließen zu lassen

Mordhergang realistischer ausgearbeitet

Seelensammeln ersetzt mit Lebensenergie, für Graue-Welt-Konformität

Logikfehler an vielen Stellen korrigiert

Umgeschrieben durch Vanum

Nächster Teil

AliceChan

reihe/alice/alice-erster_akt.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:52 von lou