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Alice - Erster Akt

Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt an der Uhr hängen. Das laute Ticken ebenjener hat mich schon fast wahnsinnig gemacht. Der Raum ist komplett abgedunkelt und ich kann nur die leichten Konturen der Möbel sehen. Wie spät es wohl sein mag? Ich hab kein Zeitgefühl für sowas. Ich weiß nur, es ist nachts und ich habe Hunger. Mächtigen Hunger. Auf Fleisch. Menschenfleisch. Am besten roh, aber gekocht schmeckt's auch nicht schlecht. Ich sollte Vergo vielleicht auch mal wieder einen Besuch abstatten..? Egal. Jetzt nicht. 

Langsam erhebe ich mich von dem knarzendem alten Holzbett. Ich hab schon leichte Rückenschmerzen bekommen. Verdammter Psychofritze. Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein und mich hier einsperren lassen. Na ja, hätt' ja nicht ahnen können das meine Beute heut Nacht ein verdammter Seelenklempner ist. Seelen… Seine Seele sah ziemlich schmackhaft aus, ich will sie haben. 

Sehe mich erneut im Raum um. Taste die Wände ab. Irgendwo muss doch ein Lichtschalter sein! Fluche leise. Und dann: klick. Licht durchflutet den Raum. Sehe mich um. Das Zimmer ist spärlich eingerichtet, ein Bett, ein Schrank, ein Spiegel. Und diese verdammte Uhr! Reiße diese von der Wand. Das Glas berstet und verteilt sich auf dem Boden. Kaputt, ist die Uhr. Verstummt. Endlich Ruhe. 

Blicke in den Spiegel. Ein 12-jähriges Mädchen mit rabenschwarzem Haar schaut zurück. Schaut mich genauso gelangweilt an, wie ich sie. Das Mädchen im Spiegel trägt einen grauen Hoodie und eine knielange, schwarze Hose. Beides ziemlich zerrissen. Meine Opfer wurden manchmal handgreiflich. Streife mit meinen Fingern über den Stoff. Mein armer Hoodie. In großen schwarzen Buchstaben steht mein Name auf der Brust. Alice. Ich finde, auch wenn der Name nicht wirklich zu mir passt, hat er doch einen schönen Klang. 

Mein Blick wendet sich von meiner Kleidung ab und hängt nun an den Verbänden um meine Beine. Nicht nur an den Beinen hab ich welche, nein, auch an den Armen. Und einen um die Stirn. Das sterile weiss ist schon lange nicht mehr, Schmutz und Blut zieren meinen gesamten Körper, da bleiben die einst weißen Verbände natürlich keine Ausnahme. Wende meinen Blick vom Spiegel ab. Das Messer in meiner rechten Hand. Es gehört nicht mir, habe es vorhin beim Einbrechen aus der Küche mitgehen lassen. War das Größte, was ich gefunden hab. Mein Kopf wird leicht schief gelegt. Das nächste mal sollte ich mir einen Koch vorknöpfen. Köche haben immer so richtig schöne große Fleischermesser. 

Ein leises Klimpern reisst mich aus meinem Gedankengang. Ach ja stimmt, da war noch die kleine vermaledeite Seele meines letzten Opfers. Ich wollte sie mir aufheben. Schaue herab. Links an meinem Hosenbund hängt an einem dunkelblauen Lederriemen ein Aufbewahrungsglas. Darin: ein weißes Rundes Ding mit zwei Augen. Starrt mich angsterfüllt an. Dumme Seele. Beachte sie nicht weiter. Die Erkundung meines „Gefängnisses“ erregt eher meine Neugier. Der fehlende Staub unterm Bett und die jugendliche Kleidung im Schrank lassen mich schließen, dass bis vor kurzem hier noch jemand gewohnt hat. Wahrscheinlich ausgezogen. 

Werde erneut aus meinen Gedanken gerissen. Diesmal ist es aber das Klopfen an der Tür. Seine Stimme ertönt. Er kündigt an, reinzukommen, um mit mir zu reden. Idiot. Hoffentlich ist er sich bewusst, dass er damit sein Todesurteil gesprochen hat. Ein Klacken, dann springt die Tür auf. Ein ca 1.75m großer Mann, geschätzt Mitte 30, mit kurzen, aschblonden Haaren betritt den Raum. Sein Gesicht zeichnet ein wohlwollendes Lächeln. Schaue ihn mit unveränderter Miene an. 

„Was willst du?“, frage ich. Meine junge Stimme klingt kratzig, was wohl daran liegt dass ich sie nicht oft verwende. Ich rede nie viel. Und wenn dann nur das nötigste. Gepaart mit meinem immerzu emotionslosem Blick bin ich dadurch undurchschaubar. Schaue ihm in die Augen. Er fixiert die meine. Erklärt mir, wie begeistert er von deren Farben ist. Mein linkes Auge ist schwarz, mein rechtes rot. Dunkelrot bis Blutrot beinahe. Ignoriere sein Kompliment. Was er nicht weiß: mit meinem rechten Auge kann ich seine Seele sehen. Zumindest wenn ich in seine schaue. Nicht ohne Grund sagt man sonst, die Augen seien der Spiegel der Seele. 

Beim Anblick seiner knurrt mein Magen. Kann mich nicht mehr beherrschen. Muss meinen Hunger stillen. Blitzschnell schieße ich auf ihn los und ramme das Messer in den Bauch. Er keucht auf. Taumelt. Wittere meine Chance und reiße ihn zu Boden. Ich mag es, wenn meine Opfer hilflos am Boden liegen. Das Messer bohrt sich mehrere Male in den Bauch- und Brustbereich des Mannes. Schmerzensschreie. Musik in meinen Ohren. Die Klinge durchdringt das Fleisch mit Leichtigkeit. Nach 27 Stichen stoppe ich. Rote Flüssigkeit hat sich überall verteilt. Auch auf mir. Ist ja unausweichlich. Aber er atmet noch. Lege das Messer beiseite und stecke meine Hand in seinen geöffneten Bauch. Einige unwichtige Organe werden entfernt und achtlos durch den Raum geworfen. Bei der Leber zögere ich kurz, stopf mir diese dann in den Mund. Der süßlich-metallische Geschmack des Blutes gepaart mit dem milden Geschmack der Leber erfreut meine Geschmacksknospen und meinen Magen. 

Schneide ihm noch die Brust auf und entwende die Seele. Lasse mein Opfer dann verbluten. „Bye then, Mr Seelenklempner.“, murmle ich noch, bevor ich den Raum verlasse. Neugierig sehe ich mich um. Anscheinend befinde ich mich im Keller, nahe meinem Ausgangspunkt befindet sich eine Treppe die in die Höhe steigt. Erklimme sie und komme tatsächlich im Erdgeschoss raus. Werfe das Messer achtlos in den Flur und verlasse dann das Haus. Stehe auf einer spärlich belichteten Straße und blicke mich um. Dann endlich entdecke ich das kleine schwarze Auto, welches etwas abseits vom Tatort steht. Bewege mich darauf zu, bevor ich einsteige klopfe ich aus Gewohnheit an das Fenster. Ich mache es mir dann auf dem Beifahrersitz gemütlich. „Wie ich sehe hast du dich ja mächtig ausgetobt.“, beginnt die Person neben mir, „aber verrate mir, warum das so lang gedauert hat.“ Starre weiterhin geradeaus auf die Straße. „Gab ein paar Komplikationen. Nix weiter“, murmle ich leise. Die Person neben mir nickt nur, startet dann den Motor. Langsam fährt das dunkle Auto fort. Lässt den Tatort hinter sich. Überlege, wie lange es braucht, bis die Leiche entdeckt wird. Bestimmt nicht lang. Ich denke an die Person, welche bis vor kurzem noch in dem Raum gelebt hatte, welchen ich mein Gefängnis nennen durfte. Sie wird sicherlich an diesen Ort zurückkehren. Sicherlich.

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AliceChan

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