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Nachtschatten

Kapitel 2

Nox zog die Tür hinter sich zu und vergrub die Hände in den Manteltaschen. Die Straßenbeleuchtung war bereits angegangen und malte helle Flecken auf den nassen Asphalt. Graues Zwielicht kämpfte sich mit schwindendem Erfolg durch den Regen. In der Querstraße peitschte ihm ein heftiger Wind eine Regenbö ins Gesicht, doch das konnte seine gute Laune nicht trüben. Der Auftrag versprach, interessant zu werden. Die Klientin befand sich wohl noch in der Trauerphase, obwohl ihr Verlobter bereits seit zwei Jahren unter der Erde lag. Manche Menschen erholten sich nie von so einem Verlust. Ein leichtes Opfer für seine Spielchen. Doch jetzt musste er sich erst einmal abreagieren. Es würde noch einige Zeit dauern, bis die Klientin an die Reihe kam. Der Auftraggeber zahlte gut, und Nox wollte seinem Ruf gerecht werden. Sein Name stand für Professionalität, und er galt unter Seinesgleichen als der Mann für besondere Fälle und komplizierte Aufträge. Dennoch hätte er nicht erwartet, dass die Klientin so ein Leckerbissen sein würde. Nox lächelte versonnen vor sich hin. Der Regen perlte an seinem Mantel ab, sammelte sich zu kleinen Rinnsalen und tropfte vom Saum herunter. Das Gesicht halb hinter dem aufgestellten Kragen verborgen stapfte er beinahe gemütlich durch das Sauwetter. An der Kreuzung entdeckte er endlich den Taxistand. Nox überquerte die Straße und lief auf das nächste von drei Taxen zu, öffnete die Tür und ließ sich auf den Sitz fallen. Der Fahrer, ein untersetzter Mann mit Glatze, Bulldoggen-Gesicht und einer Lesebrille, die auf seiner Nasenspitze balancierte, blickte von der Tageszeitung auf, legte die Seiten langsam und ordentlich zusammen und warf sie auf die Rückbank: „Beschissenes Wetter, nicht wahr?“ „Das können Sie laut sagen.“ „Wo darf ich Sie denn hinfahren?“ „Zum Red-Night-Club bitte.“ Der Taxifahrer hob eine Augenbraue hinter seiner absturzgefährdeten Brille und grinste wissend, sparte sich jedoch seinen Kommentar. Er schaltete den Taxameter ein und fuhr los. Nox angelte sein Telefon aus der Jackentasche und wählte die Nummer seines Kontaktes. Nach drei Freizeichen meldete sich eine gelangweilte Tenorstimme: „Sie wünschen?“ „Rechtsanwaltskanzlei Radek hier, es geht um den Verkauf der Aktienanteile der Firma Grobe. Ich kann Ihnen mitteilen, dass das erste Treffen zur Einigung erfolgreich verlaufen ist.“ „Das ist erfreulich. Sind Komplikationen zu erwarten?“ „Nein, ich denke nicht. Im Gegenteil scheinen beide Parteien an einer gütlichen Einigung interessiert zu sein. Ich werde Sie natürlich über den weiteren Verlauf unterrichten.“ „Schicken Sie doch bitte eine kurze Zusammenfassung des Status quo an unsere Abteilung, damit wir etwas Schriftliches für die Akten haben. Das wäre dann alles, auf Wiederhören.“ Nox steckte das Telefon wieder ein. Wenige Minuten später hielt das Taxi vor einem hell erleuchteten Gebäude mit verglastem Eingang und gepflegter Sandsteinfassade. Ein roter Teppich glänzte nass vor dem Eingang, zwei Türsteher in schwarzen Anzügen warteten hinter der Drehtür im Trockenen. Das Gebäude sah einem Hotel zum Verwechseln ähnlich, nur der beleuchtete Schriftzug über dem Eingang verriet, dass es sich um ein Bordell handelte. „Das macht 7,80 Euro.“ Nox fischte einen Zehn-Euro-Schein aus seiner Geldbörse, verabschiedete sich mit einem: „Stimmt so“, dann eilte er durch die schrägen Regenschleier auf den Eingang zu. Hinter der Drehtür empfing ihn warme, duftgeschwängerte Luft. Der Killer erkannte Styrax und Labdanum als die vorherrschenden Komponenten der Duftmischung. Elektronische Musik hallte von der Bühne herüber. Nox zeigte den Türstehern seine Mitgliedskarte und steuerte die Bar an, die sich links neben einer Reihe von Sitznischen vor der Bühne befand. Eine halbnackte Tänzerin räkelte sich an einer Stange im Rhythmus zur Musik. „Smack my bitch up“ sang „The Prodigy“. Der Killer bestellte einen Kaffee und das Premium-Paket. Die Bardame nickte mit einem freundlichen Lächeln und wies ihm eine Nische zu. Nox machte es sich in dem Sessel bequem. Der Kaffee wurde serviert. Eine Weile betrachtete er die Tänzerin, die unter den gierigen Blicken anderer Männer weitere Kleidungstücke ablegte, während das Lied seinem Höhepunkt zusteuerte. Vielleicht sollte er die Klientin auch einmal für sich tanzen lassen. Er schmunzelte. Sein Auftraggeber bezahlte ihn nicht allein für den Mord. Er sollte die Klientin vorher brechen. Das war nicht ungewöhnlich, in der Szene galt er als Spezialist für solch ausgefallene Wünsche. Aber diesmal hatte sein Auftraggeber keine bestimmten Anweisungen gegeben, es ging ihm lediglich darum, die Klientin so lange wie möglich zu quälen, bevor der Killer sie eliminieren sollte. Er durfte sich nach Belieben austoben und wurde jeden Monat fürstlich bezahlt, je länger er das Spiel trieb. Blieb nur zu hoffen, dass die junge Frau nicht gleich klein beigab. Es war immer wieder ein kleines Glücksspiel, wie die Klienten auf die erste Einschüchterung reagierten, doch Nox war sich sicher, dass er es nicht zu sehr übertrieben hatte. Seine Strategie war ausgefeilt, er hatte sich viel Zeit gelassen, um die Vergangenheit der Klientin zu studieren, ihre Gewohnheiten und Vorlieben kennenzulernen, damit er seine Pläne daran anpassen konnte. Wenn er Erfolg hatte, würde dieser Auftrag eine kleine Goldgrube werden und ihm nebenbei viele Möglichkeiten zur Zerstreuung bieten. Bei dem Gedanken daran fühlte er bereits wieder die Erregung. Dieser Auftrag war wie für ihn gemacht. Eine ältere Dame in Hosenanzug und mit strenger Frisur setzte sich zu ihm und legte einen Ordner auf den kleinen Tisch neben den Kaffee. „Sie haben das Premium- Paket bestellt. Wählen Sie bitte aus dem Angebot des Abends. Ich würde gern Ihre Wünsche aufnehmen, damit wir Ihr Zimmer vorbereiten können. Dürfte ich um Ihre Mitgliedskarte bitten?“ Ihr Lächeln war rein geschäftlich, die Falten in dem stark geschminkten Gesicht verliehen ihr die Ausstrahlung einer Matriarchin. Nox händigte der Dame die Karte aus und nannte seine Wünsche. Den Rest des Abends vergnügte er sich mit einer zierlichen Asiatin aus dem Katalog. Der Killer gönnte sich diese Eskapaden, um sich später wieder ganz der Arbeit widmen zu können. Das war Teil seines Erfolgs, auf diese Weise verhinderte er, dass ihm seine Triebe ins Handwerk pfuschten. Natürlich gehörte auch eine Menge Disziplin dazu, doch der regelmäßige Besuch im Bordell erleichterte ihm das Warten erheblich. Gleichzeitig gab es für den Auftragsmörder nichts Aufregenderes als den Anfang eines neuen Auftrags, wenn die Klienten noch heil und ganz waren, bevor Nox sich ihrer annahm, sie langsam zermürbte und brach. Etwas Schönes zu zerstören erfüllte ihn mit einer Mischung aus Freude und Lust. Die Vorfreude auf seine aktuelle Klientin genoss er auf dieselbe Weise. Als er die erschöpfte Frau schließlich verließ, bedachte der Killer sie mit einem hämischen Grinsen zum Abschied, bei dem Gedanken, dass ihr Lohn vermutlich nicht einmal einem Bruchteil dessen entsprach, was er für seine Sonderwünsche hatte zahlen müssen.

Pünktlich betrat Nox seine Wohnung, die er eigens für diesen Auftrag angemietet hatte, und kontrollierte die Kameras, die die Klientin überwachten. Die Droge ließ nun allmählich nach, und er musste seine Aufmerksamkeit wieder der Arbeit widmen. Die blonde Schönheit lag noch genauso im Bett, wie er sie verlassen hatte, und schlief. Zufrieden richtete er sich auf eine längere Observation ein, setzte nebenbei eine verschlüsselte E-Mail auf, der er Fotos von ausgewählten Kamerabildern des ersten Treffens beifügte, und gab sich Gedankenspielen hin. Das erste schwache Zwielicht des Morgengrauens schimmerte durch die zugezogenen Vorhänge.


reihe/there_aint_no_justice/kapitel_2.txt · Zuletzt geändert: 04.11.2020 14:14 von hikaru_mitena