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geschichte:krealithikum:kapitel_18

Ich träumte. Es war wieder einer dieser Alpträume, aber viel intensiver als jemals zuvor.

Eine raue Stimme rief meinen Namen. Rau, wie malender Stein und dunkel, wie der Klang der Höhle. Eine überwältigende Macht ging von ihr aus und ich brauchte all meine Willenskraft, um ihr zu widerstehen, doch meine Konzentration bröckelte langsam und stetig, bis ich mich barfuß auf einer mit Raureif bedeckten Wiese wiederfand. Kälte biss in jedes Fleckchen Haut. Brachte mich zur Besinnung. Bis die Stimme erneut nach mir rief und mich unter ihre Kontrolle zwang.

Wieder kämpfte ich dagegen an. Für einen Moment verschwamm meine Sicht und das nächste was ich erblickte, war Volker, der im Schein einer bläulichen Lichtquelle irgendeine Art von Beschwörung abhielt. Ich wollte ihn ansprechen, doch meine Stimme war wie gelähmt.

Unfähig zu einer willentlichen Entscheidung, war ich gezwungen zuzusehen.

„Große Mutter“, wiederholte er immer wieder dumpf, „Erwache aus deinem Schlaf.“ Und die malende, körperlose Stimme antwortete.

Ich konnte die Worte nicht verstehen, doch ich verstand den Sinn. Grauen erfasste mich, befreite mich aus dem Bann. Für einen kurzen Moment hatte ich den Eindruck zu fallen, dann schlug die Welt mit plötzlicher Härte über mir zusammen und ich erwachte aus dem Traum.

Finsternis, feuchte Kälte auf der Haut, taube Füße, die über harten, unebenen Boden schürften. „Nein!“, flehte ich, als die Angst zur Gewissheit wurde. Meine Stimme kehrte gebrochen aus der Dunkelheit zu mir zurück.

Wie zur Hölle war ich in die Höhle gekommen?

Panisch kauerte ich mich an Ort und Stelle zusammen. Jeder Schritt hätte mich ins Verderben stürzen können. Ich könnte direkt vor dem Spalt stehen und es erst bemerken, wenn der nächste Schritt ins Leere trat. Der arme Saboteur kam mir in den Sinn. Würde ich sein Schicksal teilen?

Als hätte die Stimme meine Gedanken gelesen, beantwortete sie die Frage, doch was sie mir verriet, stürzte mich nur in größere Verzweiflung und im nächsten Moment, weigerte sich mein Verstand einfach zu funktionieren, denn die Dunkelheit nahm vage Konturen an.

In der absoluten Finsternis bewegten sich die Schatten.

Ich musste wohl ohnmächtig geworden sein.

Als ich erwachte, dröhnte mein Schädel, wie nach einem schweren Sturz oder einer durchzechten Nacht. Ich öffnete die Augen und erstarrte.

Vor mir erhob sich das abscheuliche Götzenbildnis, angestrahlt von einem blauen, flackernden Licht. Ich keuchte, wollte aufstehen, aber ich musste feststellen, dass ich gefesselt worden war.

„Es ist nett von dir, dass du mir bei meiner Arbeit Gesellschaft leistest, Thomas. Das Glück ist immer mit den Narren“, hörte ich Volker sagen. Seine Stimme klang kratzig und tonlos. Ich begriff, dass auch er sich im Bann der körperlosen Macht befand. Wie lange ging das wohl schon so?

„Mach mich los!“, forderte ich. Meine Stimme überschlug sich vor Panik.

„Das kann ich leider nicht. Ich brauche dich noch.“

Die Frage, wofür er mich brauchen würde, wollte ich lieber nicht stellen, denn ich war mir sicher, dass ich die Antwort nicht hören wollte.

Es gelang mir, mit einiger Mühe, in eine sitzende Position zu rutschen. „Hältst du das für eine kluge Idee?“, fragte ich stattdessen.

Ich musste Zeit gewinnen. Inzwischen war ich wieder so weit klar im Kopf, dass ich wieder fühlen konnte, was ich trug. Pullover und Hose hatte ich noch an, aber keine Socken und natürlich auch keine Jacke.

Aber ich erinnerte mich daran, gestern nach dem Gespräch mit dem Geologen ein Streichholzbriefchen aus der Kneipe mit genommen zu haben.

In welche Tasche hatte ich es gesteckt? Meine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, also prüfte ich zuerst die Gesäßtaschen. Fehlanzeige.

Mich verließ der Mut.

„Suchst du das hier?“, fragte Volker. Eine Taschenlampe rollte in meine Richtung, ohne, dass ich ihn zu Gesicht bekam.

Strohhalm hin oder her, ich warf mich auf das Ding, rollte mich herum, bis ich es zu fassen bekam und suchte panisch, nach dem Einschaltknopf.

Für einen kurzen Moment flackerte ein trüber, gelber Lichtkegel auf.

Schatten stoben zischend in alle Richtungen davon. Dann flackerte das Licht und erlosch wieder. Wut und Furcht entluden sich in einem verzweifelten Schrei.

„Warum?“, wollte ich wissen.

„Um dir zu zeigen, dass es sinnlos ist, sich gegen sie aufzulehnen, glaub mir“, antwortete Volker. Seine Stimme zitterte dabei, Mitleid und Bedauern schwangen in seinen Worten mit.

„Es tut mir leid“, fuhr er fort, „Aber ich muss tun, was sie verlangt.“

Dann traf mich ein Schlag auf den Hinterkopf und eine andere Dunkelheit umfing mich mit gierigen Armen.

geschichte/krealithikum/kapitel_18.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:39 von lou