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Hexensprössling

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Hikaru_Mitena


Glaubst du, dass es eine gute Idee war, sie herbringen zu lassen?“ Lasse die Zeitung leicht sinken, um über den Rand jener einen Blick auf meinen Stellvertreter, Jonas, zu werfen und schenke diesem mehr Aufmerksamkeit. Er steht an die Wand gelehnt in meinem Büro, hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht mich zweifelndes Blickes an. „Sie ist gerade mal 9 Jahre alt, dazu noch Vollwaise. Keiner würde ihr glauben, was ihr passiert ist, wenn sie zur Polizei gehen würde, um den Fall zu melden, und trotzdem hast du Bedenken? Wo soll sie denn hinkönnen?“, frage ich im spöttischen Ton. „Du hast die Akte auch gelesen. Ihr ist nichts geblieben, und ihre Kräfte nicht zu nutzen, wäre glatt Verschwendung. Ich bin mir den Risiken durchaus bewusst, aber genau jetzt können wir, auf leichtem Wege, ihr Vertrauen gewinnen und sie auch dazu bringen, für uns zu arbeiten.“ Er mustert eingehend die Wand auf der gegenüberliegenden Seite, um meinem Blick auszuweichen, und spielt mit seinem Klappfeuerzeug.

Seufzend falte ich die Zeitung zusammen, auf der in einem großen Artikel etwas über die versunkene „Lusitania“ steht, die von einem U-Boot versenkt wurde, dem ich mich eigentlich widmen wollte und lehne mich in meinem Stuhl zurück, als er erneut das Wort ergreift: „Es ist nur so, dass du anscheinend ohne jeden Grund einen Informanten losgeschickt hast, um sie hierherbringen zu lassen. Eine Aufgabe, die auch jemand anderes aus der Loge hätte erledigen können.“, gibt er zu bedenken. Gerade als ich zu einer Erklärung ansetzen will, unterbricht ein Klopfen unser Gespräch. „Herein„, rufe ich in einem nunmehr ruhigen Ton und schaue zur Tür. Sehr zum Leidwesen meines Stellvertreters, der schnaubend seine Zigarettenpackung aus der Hosentasche holt und sich direkt eine anzündet. Ein stämmiger Mann mit dunkler Haut, unzähligen Tattoos, einer verbogenen Nase und gelockten, kurzen, schwarzen Haaren betritt den Raum. Einige neue Kratzer zieren sein Gesicht, aus denen noch Blut über sein Gesicht fließt. “Sie ist wach und war nicht gerade sehr kooperativ. Die anderen werden gerade vom Doktor zusammengeflickt„, gibt dieser kurz angebunden und leicht entnervt von sich. “Und offensichtlich war sie sehr energiegeladen„, denke ich leicht schmunzelnd und erhebe mich im selben Moment, um mir den Neuankömmling selbst vorzunehmen. Zusammen verlassen wir das spartanisch eingerichtete Büro und machen uns auf den Weg zu dem Krankenzimmer, in das der Informant sie gebracht hat.

Im Flur vor der verschlossenen Tür stehen zu beiden Seiten weitere Kerle, nicht minder kräftig als jener, der in mein Büro kam. Sie sehen auch nicht besser aus und haben unzählige Kratzer über ihre Körper verteilt. Die Kleine weiß sich wohl, trotz ihres Zustandes, zu wehren. Ganz davon abgesehen, dass man ihr die Knochen in ihrem linken Arm zertrümmert hatte. Bedenke die Männer mit einem kurzen Nicken. Einer von ihnen holt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und sperrt die Tür auf. Alle machen Anstalten, mir zu folgen. “Ihr bleibt hier!„, befehle ich und besehe alle mit einem strengen Seitenblick, damit jeder von ihnen seine Meinung für sich behält. Die Tür wird hinter mir ohne Widerworte geschlossen.

Betrachte stirnrunzelnd das Chaos. Das Bett steht auf dem Kopf und die Matratze liegt in einer anderen Ecke, die Federn vom Kissen liegen im Raum verteilt. Hier und da sind einige Blutflecken im Raum, auf der Wand und den Boden zu sehen. Wahrscheinlich ein Ergebnis dessen als sie mit den Männern gekämpft hatte. Die Tür zum Badezimmer ist leicht offen, das Licht ist aus und ein leises Knurren ertönt, als ich mich diesem nähere. Offensichtlich hat sie sich darin zurückgezogen. Mit einigen Metern Abstand zur Tür gehe ich langsam in die Hocke und erkenne in der Dunkelheit die kleine Gestalt des Mädchens, welche sich in der hintersten Ecke des Zimmers begeben hat. Sie scheint nicht wirklich bei sich zu sein, reagiert wie ein verwundetes Raubtier. Ich sitze weiter ruhig dort und beobachte die Kleine. Mit der Zeit wird ihr Knurren leiser und ich nähere mich wieder ein Stück. Augenblicklich wird das Knurren wieder lauter. Ich wiederhole das Ganze, bis ich im Badezimmer angekommen bin. Stoße bewusst die Tür weiter auf und stelle mich leicht auf die Seite, damit sie den Eindruck gewinnt, entkommen oder Abstand gewinnen zu können, wenn sie es will.

Ich betrachte sie noch einmal genauer, nachdem nunmehr Licht ins Badezimmer fällt. Das Nachthemd bedeckt nur noch notdürftig ihren Körper, da es an vielen Stellen gerissen ist. Leider kann ich durch ihre blutdurchtränkte Erscheinung nicht genau erkennen, ob sie neue Verletzungen hat oder nicht. Ihr feuerrotes, schulterlanges Haar fällt ihr teilweise ins Gesicht, und dennoch sind ihre schwarzen Augen weiter auf mich gerichtet. Ihren linken Arm scheint sie immer noch nicht wieder richtig benutzen zu können. Den Verband um ihren Brustkorb hat sie dran gelassen. Doch ist keine Verletzung an der Vorderseite zu erkennen. Werde mich darüber noch einmal mit dem Arzt unterhalten müssen, wegen dem Gips für ihren linken Arm.


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reihe/redbird/redbird_1.txt · Zuletzt geändert: 12.05.2021 07:51 von hikaru_mitena