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reihe:redbird:redbird_3

Objekt 173

Übersicht - Redbird

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Mit ausgebreiteten Armen steht Alina vor der verschlossenen Tür und will verhindern, dass ich gehe. „Du musst das nicht machen, es ist kein Auftrag. Es sterben und verschwinden immer wieder Menschen bei diesen Prüfungen“, wiederholt sie den Satz nun zum gefühlt tausendsten Mal. Ihr Körper zittert leicht, und sie hält ihren Blick zu Boden gerichtet. Stehe ihr gegenüber, bereit zu gehen. Werde meine Form während dieser Besorgung nicht ändern müssen, da es keinen Kampf geben wird. Denn es gibt nur die Möglichkeit, zu gewinnen und zu leben oder zu verlieren und zu sterben. Das weiß sie, weshalb sie mich auch nicht gehen lassen will. „Du weißt genau, dass ich noch nicht fertig bin mit dem, was ich begonnen habe. Und dieses Objekt würde mir dabei helfen“, erkläre ich ihr mit sanfter Stimme. Ihre Lippen verziehen sich missbilligend, und sie schaut mich endlich direkt an. „Du hast versprochen, dass du dich, solange ich lebe, nicht dorthin begeben würdest! Dass du langsamer und mit mehr Bedacht an das Ganze ran gehst“, erinnert mich Alina etwas schroff. „Das habe ich nicht vergessen, aber du scheinst nicht zu verstehen…“, setze ich an, doch fällt sie mir ins Wort. „Nein, ich verstehe es wirklich nicht! Du willst fortgehen, um ein Halter-Objekt zu bekommen, von dem du weißt, dass die Beschaffung deinen Tod bedeuten kann, und willst mir erklären, dass du dein Versprechen halten könntest, das du mir nach deiner letzten Aktion gegeben hast! Du hast alle Menschen, die über 18 Jahre alt waren, getötet und dafür gesorgt, dass alle Kinder Vollwaisen geworden sind, innerhalb weniger Stunden!“, redet sie sich immer mehr in Rage, ihre Stimme überschlägt sich zum Ende hin. Seufzend lasse ich die Schultern hängen und gehe langsam auf die zierliche, blonde Frau, die nunmehr Mitte dreißig ist, zu und schließe sie in eine Umarmung. Nur zögerlich erwidert sie diese, lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Sanft streiche ich vom Kopf über ihren Nacken den Rücken hinunter und atme den Duft von Minze ein, der von ihrem Haar ausgeht. „Es tut mir leid“, flüstere ich Alina ins Ohr. Erschrocken schnappt sie nach Luft und versteift sich in meinen Armen, bevor ihr Körper im nächsten Moment erschlafft. Mit Leichtigkeit trage ich ihren Körper zum Bett und lege sie vorsichtig nieder. Ihre von Panik geweiteten braunen Augen starren in meine schwarzen. „Ich habe aber auch mir etwas geschworen; und ich werde alles daran setzen, diesen Schwur auch einzuhalten. Wenn ich das Objekt habe, wird es meine Überlebenschancen deutlich steigern“, erkläre ich ihr, während ich ihr ein paar Haarsträhnen hinter das Ohr streiche. Dann wende ich mich ab und gehe auf die Tür zu, öffne sie und teleportiere mich, sobald diese einen Spalt breit geöffnet ist, nach New York, Manhattan, in den Central Park.

Plötzlich stehe ich zwischen den Bäumen und ein kalter Wind droht mir meine Kapuze vom Kopf zu wehen. Glücklicherweise schneit es gerade nicht. Eine Uhr in der Nähe zeigt 11:17 p.m. an. Stecke eine Hand in die Manteltasche, halte mit der anderen die Kapuze an ihrem Platz und schaue mich um. Ich muss die erste Person, die ich sehe, fragen, um die Prüfung zu starten. Kurz darauf entdecke ich einen Mann mittleren Alters, der mit seinem Golden Retriever an dem zugefrorenen See vorbeigeht, auf die verschneite Wiese und seinen Hund ableint. Als er aus seiner Jackentasche einen kleinen Ball holt, den er in seiner behandschuhten Hand hält, trete ich hinter den Bäumen hervor und gehe direkt auf den Mann zu. Nachdem er den Ball geworfen hat, rennt der Hund diesem begeistert hinterher und bringt ihn gerade zurück, als ich bei dem Mann ankomme. Ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht. „Entschuldigen sie.“ Der Mann richtet sich wieder auf und widmet mir seine Aufmerksamkeit; schenke ihm nicht wirklich Beachtung, lasse ihn auch gar nicht zu Wort kommen und frage: „Wo befindet sich der Halter der Schatten?“ Einen Wimpernschlag später frischt der Wind auf. Teleportiere mich schnell in eines der geschlossenen Cafés im Park und sehe, wie es unmittelbar darauf zu schneien beginnt. Den Informationen nach darf ich den Schnee nicht berühren und muss warten, bis es aufhört zu schneien, es sei denn, ich will als Eisskulptur enden. Habe nicht vor, bei der Sache ein großes Risiko einzugehen. Beobachte das Ganze eine Weile und gehe die Informationen noch mal durch. Ein Knurren ertönt hinter mir in dem kleinen Laden. Muss mir gar nicht erst die Mühe machen und versuchen, etwas zu erkennen, da ich mir sicher bin, dass es sich um die Kreaturen handelt, die von dem Halter kontrolliert werden und nahtlos mit den Schatten verschmelzen.

Kaum hat es aufgehört zu schneien, teleportiere ich mich aus dem Café und stehe im nächsten Augenblick direkt vor einem Haus. Etwas angespannt klopfe ich genau dreimal an die Tür, und in der Ferne ist wieder ein unmenschliches Knurren zu hören, das aus verschiedenen Richtungen kommt. Momente später wird die Tür von einer alten, grauhaarigen Frau geöffnet. Ihre trüben Augen blicken einfach an mir vorbei, und auch sonst zeigt sie keine Reaktion darauf, dass ich an ihrer Tür geklopft habe. Sie ist wohl in einem trance ähnlichen Zustand. Beachte sie nicht weiter und betrete das Haus. Etwas unterhalb der Decke schwebt eine kleine Lichtquelle, über der eine Lampe an der Decke angebracht ist, die aber nicht brennt. Doch ist der Flur durch die ungewöhnliche Lichtquelle erhellt. Hoffentlich geht alles gut, ich würde mich ungern nicht an das Versprechen halten. In der Nähe steht ein Schirmständer; greife mir einen etwas älteren, kaputten Schirm, um damit das Licht zu zerstören. Kurz darauf ist alles in pure Dunkelheit gehüllt, nur durch die offene Tür fällt etwas Licht ins Hausinnere. Von draußen hört man das laute und stetige Knurren einer mir unbekannten Anzahl an Kreaturen. Ohne dem weiter Beachtung zu schenken, laufe ich den Flur entlang, direkt auf die Treppen zu. Ich gehe in den Keller. Den Schirm behalte ich, da ich ihn beim letzten Teil der Prüfung brauchen werde, und als ich die letzte Stufe hinter mir gelassen habe, liegt die vollkommene Dunkelheit hinter mir und ein schwach beleuchteter Kellerraum kommt zum Vorschein. Kneife die Augen leicht zusammen, da das schwache Leuchten mich nach dieser Finsternis blendet. Als ich meinen Blick schweifen lasse, erkenne ich, wie einige der Schatten, die von gestapelten Kisten und anderem Krimskrams geworfen werden, schon zu verschwinden beginnen, bis nur noch ein kleiner Rest der Schatten zuerkennen ist. Mein Griff um den Schirm wird stärker, schließe meine Augen, dann schlage ich in einer Drehung mit aller Kraft zu. Spüre Widerstand, als hätte ich mit dem Schirm durch Wasser geschlagen. Ein lauter und unmenschlicher Schrei ertönt.

Als ich meine Augen wieder öffne, stürzt eine schwarze Bestie, deren Körper aus etwas Flüssigem zu bestehen scheint, zu Boden. Ihr Körper löst sich auf und wird durchscheinend. Noch während die Bestie fällt, beginnt der Stoff des Regenschirmes zu brennen und das Metall beginnt sich zu erhitzen. Werfe ihn sofort weg, um nicht selbst Feuer zu fangen. „Egal wie hitzeresistent ich bin, ich brauche nicht noch ein ewig brennendes Feuer, das mich umgibt“, denke ich schmunzelnd und beobachte, wie meine provisorische Waffe sich durch den Beton in den Boden frisst. „Du solltest dich hüten. Das, was du anstrebst zu tun, birgt Konsequenzen„, spricht mich ein Schatten, der den Platz des Biestes eingenommen hat, mit menschlicher Stimme an. „Ich weiß. Aber das geht dich nichts an oder sollte dich zumindest nicht mehr interessieren. Immerhin bist du jetzt deinen „Job“ los, nach menschlichen Maßstäben. Genieße deine „Leben„ in vollen Zügen oder so ähnlich“, antworte ich dem Schatten. Ein tiefes Lachen hallt durch den Keller, während sich der menschenähnliche Schatten auf mich zu bewegt. „Diese zuversichtliche Arroganz wird dich noch dein Leben kosten„, spricht der ehemalige Halter. „Arroganz wäre es, wenn ich sagen würde, dass ich alles überlebe und über jeden erhaben bin. Ich werde auch weiter tun, was nötig ist, um mich an mein Versprechen gegenüber mir selbst und der Seele, der ich mich verschrieb, zu halten. Wenn es dieser Weg ist, der mich tötet, dann ist das eben so“, antworte ich dem Wesen mit purer Überzeugung. Er streckt seine Hände nach meiner linken aus. Weiche nicht zurück und lasse zu, dass er die Innenfläche meiner Hand nach oben dreht und einen ovalen Kristall in diese legt. Es fühlt sich an, als würde kaltes Wasser meine Haut berühren. Halte meinen Blick in dieser Zeit auf die rot leuchtenden Augen des menschlichen Schattens gerichtet. „Dann lass uns mal sehen, wie weit dich dieser Weg bringen wird, oder ob du am Ende in einer Sackgasse landest, die deine Vernichtung bedeutet.„ Mit diesen letzten Worten löst sich der lebende Schatten auf, genau wie das Biest zuvor.

Langsam hebe ich meine linke Hand, um den ovalen Gegenstand genauer zu betrachten. Es ist ein ebenholzschwarzer Kristall, so wie es in der Akte stand. Öffne ein paar Knöpfe meines Mantels, um den Kristall in dessen Innentasche zu stecken, und schließe ihn wieder. Schritt 1: Beschaffung. Erledigt. Zeit für Schritt 2. Mit diesen Gedanken teleportiere ich mich zu einer Außenstelle, die von der Loge geführt wird. Ich war nicht besonders oft hier. Es reizt mich nicht sonderlich, mich zu betrinken, genau genommen kann ich das nicht einmal, und so bin ich hier auch weniger bekannt, was jetzt natürlich ein Nachteil sein kann. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Kerle sich leicht überzeugen lassen, im Gegensatz zu so einigen anderen. Eine Verzögerung kann ich jetzt einfach nicht gebrauchen, das Treffen mit ihm ist schon seit Längerem geplant und ich habe keine Lust, dass er oder Thomas es sich anders überlegen. Wobei letzterer sich extreme Sorgen über die Konsequenzen macht. Es hat so schon lange genug gedauert, die Beiden zu überzeugen. Ich sollte es lieber schnell hinter mich bringen, bevor irgendjemand von ihnen es sich anders überlegt.

Im nächsten Moment spüre ich das altbekannte Prickeln, als sich meine Sclera völlig schwarz färbt. Mit der Andeutung eines Lächelns betrete ich die Bar.

Show time.


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Hikaru_Mitena

reihe/redbird/redbird_3.txt · Zuletzt geändert: 23.11.2020 08:47 von hikaru_mitena