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geschichte:krealithikum:kapitel_17

Ich nahm einen Schluck Bier und wartete darauf, dass der Geologe das Wort ergriff.

„Das Temperatur-Phänomen ist tatsächlich ein Ding der Unmöglichkeit“, begann er, „Ich konnte nur ein einziges Mal mit einer Wärmebildkamera einen kleinen Blick in der Grotte erhaschen, bevor der Spinner mich weggejagt hat.“ Er räusperte sich: „Entschuldigung.“

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Naja, die Wärmebildkamera zeigte, dass die Hinkelsteine für den Temperaturanstieg verantwortlich sein könnten. Sie waren viel wärmer als die anderen Felsen. Ich dachte, das Gerät spinnt, als ich das sah. Das ist einfach unmöglich. Ich kann das nicht erklären, aber so sah es aus.

Leider konnte ich kein Bild davon machen, deshalb kann ich die Sache nicht beweisen und aus diesem Grund taucht auch nichts davon in meinem Bericht auf.“

Ich nickte. „Unerklärliches scheint sich in dieser Höhle ja richtig zu sammeln“, scherzte ich flach. Der Geologe legte die Stirn in Falten und ich fügte hinzu: „Ich hatte einige sonderbare Erlebnisse, die ich nicht erklären kann.“

„Was denn zum Beispiel?“, wollte er wissen. Angespannte Neugier ergriff nun Besitz von ihm. Um etwas Zeit zu gewinnen nahm ich noch einen Schluck Bier und leerte damit das Glas.

„Hauptsächlich optische Effekte, die sich auf die Schattenbildung beziehen. In der Kuppelgrotte fühle ich mich meistens beobachtet. Dieses Götzenbildnis ist das Unheimlichste, was ich jemals gesehen habe. Der Anblick ist so verstörend, dass ich die Statur bis jetzt nicht ein einziges Mal richtig ansehen konnte. Der Blick gleitet immer irgendwie an ihr vorbei. Ich verstehe nicht, wie Volker so vernarrt in das hässliche Ding sein kann. Wissen Sie, ich war eigentlich froh, wenn ich nichts mit der Statur zu tun haben musste. Jetzt darf ich mich morgen um einen Ersatz für den Archäologen kümmern und davor graut es mir gewaltig, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand sich gerne mit der Abscheulichkeit befassen will.“

Der Geologe nickte.

„Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen. Sowohl mit der Statue, als auch mit dem Archäologen stimmt was nicht.“

„Er ist immer noch nicht zurück, nicht wahr? Was meinen Sie? Kommt er heute noch oder macht er die Nacht durch? Allein bei Nacht in der Höhle – da würden mich keine zehn Pferde zu bringen. Um nichts in der Welt wollte ich da nach Einbruch der Nacht bleiben.“

„Aber Sie glauben doch nicht, dass er die ganze Zeit dort arbeitet oder?“, warf der Geologe skeptisch ein. Ich zuckte zusammen. Vor meinem inneren Auge blitzte dieses Bild auf, Volker, der in der viskosen Finsternis auf den Sockel geklettert war und die Statur umschlungen hielt. „Wissen Sie etwa, was er dort macht?“, bohrte mein Gegenüber nach. Ihm war nicht entgangen, dass in mir etwas vor ging.

„Ich hab ihn einmal aus der Höhle geholt, weil er wieder kein Ende finden konnte. Es war verstörend“, antwortete ich ausweichend.

Der Geologe nickte und respektierte, dass ich nicht weiter darauf eingehen wollte. Ich fügte hinzu: „Das war das erste und einzige Mal. Heute kann er bleiben wo der Pfeffer wächst und morgen kann er gehen.“

Wir sprachen noch eine Weile über die sonderbaren Vorkommnisse in der Höhle. Der Geologe bestätigte mir, dass auch er ab und an unter optischen Erscheinungen litt, aber im Gegensatz zu mir hatte er sich eine Erklärung zurechtgelegt. Er machte eine leise, unhörbare 10Hz-Frequenz dafür verantwortlich. Es war allgemein bekannt, dass Frequenzen in diesem Bereich weniger mit dem Ohr als vielmehr mit dem ganzen Körper wahrgenommen wurden und aus wissenschaftlichen Studien wusste man ebenso, dass sie in der Lage waren, die Flüssigkeiten im Augapfel in Schwingung zu versetzen, was Bewegungen am Rande des Sichtfeldes verursachte. Ich staunte über seine kreative Erklärung, aber sie war leider nicht vollständig.

Er hatte keine Idee, wo das Geräusch herkommen sollte und gemessen hatte er es auch nicht.

Als ich später die Treppe zum ersten Stock erklomm, fühlte ich mich hundsmiserabel.

Es tat mir im Herzen weh, Volker von der Ausgrabung ausschließen zu müssen, aber es war richtig und für alle das Beste. Was immer auch in dem Archäologen vor sich ging, es konnte nicht gesund sein und es war meine Pflicht, für die Sicherheit der Ausgrabungsteilnehmer zu sorgen.

Auf der Türschwelle blieb ich kurz stehen, starrte in die wabernde Finsternis und hatte den Eindruck, dass der Geologe mit seiner 10Hz-Erklärung meilenweit neben der Spur lag.

Ich beeilte mich, die Kerzen anzuzünden, damit das warme Licht die Schatten verjagte.

In dieser Nacht schlief ich schlecht, wälzte mich im Bett hin und her und kämpfte gegen den Drang einem fordernden Ruf zu folgen, ohne zu wissen, wer mich rief oder wohin.

geschichte/krealithikum/kapitel_17.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:36 von lou