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geschichte:krealithikum:kapitel_10

Es schien als freute sich auch der Himmel über die angenehme Wendung der Ereignisse, denn am nächsten Morgen weckte mich strahlender Sonnenschein.

Ich hatte mir inzwischen angewöhnt die Rollläden nicht mehr zu schließen, da mir die Dunkelheit so viel Unbehagen bereitete.

Die Polizei hatte die Ermittlungen vor Ort auf drei Tage festgelegt. Meine Vorgesetzten waren wenig begeistert, da jeder Tag Verzögerung furchtbar teuer war, doch der Ärger richtete sich zur Gänze gegen den unbekannten Saboteur, der einen erheblichen Sachschaden verursacht hatte.

Ich verordnete dem Ausgrabungsteam Zwangsurlaub, als wir uns zum Frühstück trafen. Sie waren wenig begeistert, doch ich war mir sicher, dass die Enttäuschung nicht bei allen gleich groß ausfiel. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hatte den Eindruck, dass ich in vielen Gesichtern eine große Erleichterung las, für ein paar Tage nicht in die Höhle zu müssen.

Zurück in meinem Zimmer überlegte ich, was ich selbst mit meinen drei freien Tagen anfangen wollte und spielte einige Szenarien in Gedanken durch, während ich vor dem geöffneten Fenster stand und die Sonne auf der Haut genoss. Eigentlich hätte ich frieren müssen, denn mit dem schönen Wetter war auch ein Temperatursturz einhergegangen. Die Sonne hatte viel ihrer sommerlichen Kraft verloren und die Luft war beinahe eisig.

Das gefiel mir sehr, da das Wetter sich damit der Jahreszeit anpasste und der Herbst langsam dem Winter zu weichen schien. Aus dieser Überlegung heraus beschloss ich den Tag mit Müßiggang zu vertrödeln, etwas spazieren zu gehen und den freien Himmel über mir zu genießen.

Ein leichter Wind trieb raschelnd eine Handvoll Blätter vor sich her. Über den Giebeln der Fachwerkhäuser strebte der Blick ungehindert hinauf in einen hohen, bleichen Himmel, der aussah, als hätte man ihn zu oft in die Waschmaschine gesteckt, so blass war das Blau. In der strahlenden, aber schon tief stehenden Sonne warfen die Häuser lange Schatten, doch diese hatten nichts mit den Schreckgebilden gemein, die mich in der Höhle verfolgten.

Die grenzenlose Weite über mir erfüllte mich mit einer Freude, die mich tatsächlich überraschte. Die dumpfige Grotte musste mir schwerer auf dem Gemüt lasten, als ich es bisher wahrgenommen hatte, trotz all der Anzeichen, die ich an mir selbst bemerkte.

Tief sog ich die eisige Luft in die Lungen und schritt lächelnd auf einen gepflasterten Marktplatz. Ursprünglich hatte ich einen Waldspaziergang unternehmen wollen, doch dann hatte ich über den Newsticker meines Smartphones erfahren, dass in Schwerte, einem ruhigen Ort in der Nähe, ein Hansemarkt stattfand und die Aussicht auf einen heißen Glühwein überzeugte mich sofort.

Der Ort selbst war recht enttäuschend. Zwar war mir der Name geläufig, doch eher aus Staumeldungen, weil das nahegelegene Westhofener Kreuz, wo die A45 auf A1 traf, aufgrund der geographisch ungünstigen Hanglage ständig verstopfte.

Obwohl ich nicht damit gerechnet hatte am Rande des Ruhrgebiets einen beschaulichen Flecken Kleinstadtkultur vorzufinden, so hatte ich auch nicht mit einem verschlafenen Nest gerechnet, das eindeutig von Rentnern dominiert wurde. Hier und da traf ich auf kleine Gruppen Jugendlicher, die gelangweilt herumlungerten. Die Stadt musste ein furchtbar einseitiges Freizeitangebot haben, wenn die Jugend freiwillig die sonnige Kälte des Spätherbstes bevorzugte.

Auf dem Marktplatz herrschte geschäftiger, doch verhältnismäßig ruhiger Betrieb. Nur eine Handvoll uriger Stände boten größtenteils regionale Produkte an. Wo der Markt aufhörte, hatte man die Ränder mit Heuballen dekoriert.

Es roch nach Zuckerwatte und Vanille. Der Glühweinstand schenkte seine Getränke bereits in den Weihnachtsmarkttassen mit aktuellen Jahreszahlen aus. Ich wärmte mir die Hände am heißen Punsch und ließ mich auf einer Bank nieder. Die Sonne versank jetzt recht schnell hinter den Häusern und die Kälte wurde beißend.

Auf dem Marktplatz gingen die Lichter an, die Lichterketten der Marktstände tauchten alles in ein warmes, goldenes Licht. Weihnachtsstimmung wallte plötzlich in mir hoch.

Ich trank meinen Glühwein, schlenderte an den Ständen entlang und betrachtete die Auslagen. Kein Drängeln und Schieben, wie man es von den großen Weihnachtsmärkten kannte, trübte die Laune. Ich erreichte einen Stand, der bemalte Teelichter verkaufte.

Die kleinen, hellen Flammen zogen mich fast magisch an und ich blieb wie selbstverständlich vor dem Stand stehen, betrachtete das kleine Feuer, das geschützt in den Gefäßen brannte.

„Kann ich Ihnen weiterhelfen oder möchten Sie nur schauen?“, riss mich die Stimme der Inhaberin aus den Gedanken. „Wie bitte?“, antwortete ich etwas perplex.

Die runzlige, alte Dame hinter dem Tresen lachte amüsiert. „Sie müssen ja tief in Gedanken versunken sein, wenn ich Sie derart erschrecke.“

Ich lächelte pflichtschuldig, obwohl es mir peinlich war. Um das Thema zu wechseln sagte ich: „Ihre Teelichter gefallen mir.“

„Das freut mich sehr. Jedes einzelne stammt aus der örtlichen Glasbläserei, ist handbemalt und ein Unikat.“

Jetzt war ich tatsächlich interessiert, denn die unterschiedlichen Gläser waren so präzise mit farbigen Mustern, Ornamenten oder Bildern bemalt, dass ich automatisch von einem Druck ausgegangen war. Meine Überraschung musste sich deutlich auf meinem Gesicht spiegeln, denn die runzelige Alte lächelte, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht.

„Welches Teelicht gefällt Ihnen am Besten?, wollte sie wissen.

Mein Blick glitt über die verschiedenen, großen und kleinen, schlanken und bauchigen Gläser. In vielen brannte eine Kerze, die die Verzierungen in farbenfrohes Leuchten verwandelte.

Mehrere sprachen mich an, aber es war schwer sich zu entscheiden.

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete ich, „Mir sagen fast alle zu.“

„Dann mache ich Ihnen einen Freundschaftspreis“, entgegnete die alte Dame gewitzt, „Suchen Sie sich drei Gläser zum halben Preis aus. Die Kerzen schenke ich Ihnen dazu.“

Etwas überrumpelt stellte ich fest, dass ich das Angebot der freundlichen, alten Frau nicht ausschlagen konnte, ohne hinter ein schlechtes Gewissen zu haben.

„Das klingt fair“, stimmte ich zu und wählte nach Gefühl zwei kleine und ein mittelgroßes Glas aus. Die runzlige, alte Dame wickelte die Gläser in Zeitungspapier, verstaute sie behutsam in einer Tüte und kramte anschließend die Kerzen aus einem Fach unter dem Tresen. Ich zahlte und nahm die Tüte entgegen, die schwerer war, als erwartet.

Als ich die Tüte später in meinem Hotelzimmer auspackte, stellte ich fest, dass die freundliche Alte mir gleich einen doppelten Satz Kerzen geschenkt hatte, neben einem großen Paket überlanger Streichhölzer.

Angetan von der Gutmütigkeit und immer noch erfüllt von der Weihnachtsstimmung stellte ich die Teelichter auf dem Schreibtisch auf und zündete die Kerzen darin an.

Sofort war das Zimmer erfüllt von einem weichen, freundlichen Licht, das den Schatten ihre unheimliche Tiefe raubte. Ein Gefühl von Sicherheit ging von den kleinen Flammen aus. Zum ersten Mal seit Wochen fiel die Anspannung gänzlich von mir ab.

In dieser Nacht schlief ich ohne Alpträume, geschützt durch das kleine Feuer, das in seinen bunten Gefäßen tanzte.

geschichte/krealithikum/kapitel_10.txt · Zuletzt geändert: 16.11.2022 23:09 von lou