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Veränderung

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Seit dem Ritual sind bereits drei Monate vergangen. Habe seitdem unter Kopfschmerzen gelitten, langsam werden sie schwächer und sind besser zu ertragen. Höre immer wieder ein leises Flüstern oder markerschütternde Schreie. Streiche über meinen Pullover, an der Stelle, unter der sich der Kristall verbirgt. Schlafmangel und gelegentliche Albträume haben sich auch vermehrt eingestellt. Vermutlich Erinnerungen der Seelen, die an der Prüfung gescheitert sind. Bis sich alles beruhigt und ich völlige Kontrolle über die Kräfte des Kristalls besitze, wird noch sehr viel Zeit verstreichen. Konnte aber nur so sichergehen, dass niemand dieselbe Prüfung macht und mir somit den Kristall nimmt. Fahre mir mit der Hand übers Gesicht und strecke die Arme im nächsten Moment über meinen Kopf. Der Stuhl knarzt leise und gibt quietschende Geräusche von sich. Es hilft nichts, so kann ich mich nicht auf Mutters Buch konzentrieren, das offen vor mir liegt.

Als die Tür sich öffnet, blicke ich mich nicht um; weiß aufgrund des Zigarrengeruchs, dass es Thomas ist. „Wie geht’s dir?„, fragt er in ruhigem Ton und stellt sich neben mich an den Schreibtisch. Richte meine Augen auf sein von Falten gezeichnetes Gesicht. Unter seinen Augen sind deutlich dunkle Schatten zu erkennen, Zeugen seiner Krankheit. Sein weiß-graues Haar ist etwas gewachsen und betont besonders die blassblauen Adleraugen, die trotz seines Alters noch von Wachsamkeit zeugen. „Fragst du das als mein Boss, oder sollte ich dich lieber Grandpa nennen?“, frage ich mit einem verschmitzten Grinsen. Was ihm ein Lachen entlockt. „Du Greenhorn solltest nicht so frech sein. Wir werden ja sehen, wie es dir er geht, wenn du in meinem Alter bist„, meint Thomas nur amüsiert. „Außerdem habe ich bei dir schon lange die Hoffnung aufgegeben, dass du dich auf ein männliches Wesen einlässt. Weshalb du dir diese ‚Drohung' schenken kannst“, fügt er theatralisch seufzend hinzu. Habe mich seit meinem 25. Lebensjahr äußerlich nicht mehr erkennbar verändert. Da wird das auch keinen großen Unterschied machen, wenn ich so alt bin wie er. „Adoptionen sind immer eine Möglichkeit. Wenn dir das so sehr schlaflose Nächte bereitet: ich bin sicher, dass es genügend Kinder auf dem Schwarzmarkt gibt, die liebend gerne zwei Mütter haben würden.„ Freue mich über diese lockere Unterhaltung mit Thomas.

Ich hab einen neuen Auftrag für dich, du wirst erneut als Informant eingesetzt“, wechselt er unvermittelt das Thema und übergibt mir eine Akte, die bis jetzt außerhalb meines Sichtfeldes war. „Allerdings scheint auch die SCP-Foundation auf ihn ein Auge geworfen zu haben.„ Diese Art von Arbeit ist nichts Neues für mich, und dass die Foundation mit von der Partie ist, macht keinen Unterschied. „Worum geht es?“, frage ich nach. Überfliege die Dokumente und muss aufpassen, dass mir der Umschlag, der dabei ist, nicht auf den Boden fällt. „Einen Oberstleutnant der Roten Armee. Was seine Zeit vor der Ausbildung angeht, haben wir so gut wie keine Informationen, seit 25 Jahren ist er als Maverick bekannt. Seit geraumer Zeit soll er anderen Befehle aufzwingen können, und jeder ist dazu gezwungen, diese auszuführen. Daher wirst du seine Sekretärin, um dir ein genaueres Bild verschaffen zu können.„ Tiefes Bedauern meinerseits: überall potenzielle Idioten, die eine große Waffe in der Hose haben, um andere Dinge zu kaschieren oder davon abzulenken. „Ich muss also die ganze Zeit zwischen arroganten Schlipsträgern verbringen, die meinen, dass sie harte Kerle sind. Aber beim ersten Anzeichen von Gefahr wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen? Lass mich raten: es war deine Idee, mit dem Zweck, mir deine väterliche Liebe zu demonstrieren.“ Ich bin ja so begeistert von dieser Mission, dass mir vor lauter Aufregung mein Essen fast wieder hochkommt. Thomas schüttelt amüsiert seinen Kopf: „Wenn ich mehr Leute hätte, die wie du aus Spaß tote Sprachen lesen und sprechen lernen…„, er deutet bei dieser Aussage auf das Buch, welches ich von einem leidenschaftlichem Sammler wiederbeschafft habe. Nachdem ich ihn davon überzeugt hatte, dass es sich um ein unbezahlbares Erbstück handelt. Ich musste zwar einiges an ‚Überzeugungsarbeit' leisten, aber letztendlich hat er es mir überlassen. „…und lebende Sprachen noch nebenbei, würde ich ja jemand anderen schicken. Außerdem bin ich sehr zuversichtlich, dass du dich gegen die paar Anzugträger wehren kannst“, meint er mit amüsiertem Unterton und klopft mir sanft auf die Schulter. Lese in Ruhe weiter in den Unterlagen. Mit gerade mal 34 Jahren hat sich Maverick zum Oberst hochgearbeitet und einen Platz im Generalstab inne. Stellt sich nur die Frage, ob er wirklich so gut ist oder ob ihn nur seine spezielle Fähigkeit so weit gebracht hat.

Meine Augen wandern erneut zum Umschlag. Ein 13 Booklet-Umschlag, unverschlossen. Ein Gefühl der Endgültigkeit macht sich in meinem Inneren breit, als ich mir den Inhalt des Umschlages genauer ansehe. Meine Vermutung bestätigt sich, da sie die Unterlagen für das Grundstück und das Haus im Wald enthalten. Spüre, wie Thomas' Hand sanft über meinen Haarschopf streicht, bevor sich seine Schritte der Tür nähern. Kurz bevor er meine Zelle aka mein Zimmer verlässt, bewege ich ihn dazu, noch einmal stehenzubleiben, als ich ihn erneut anspreche: „Am liebsten würde ich wieder für zwei Wochen in das kleine Haus ziehen. Trainieren, jagen und all das andere.„ Stille erfüllt den Raum. „Du hast dich besser angestellt, als du glaubst.“ Mein Blick richtet sich ein letztes Mal auf den Rücken von Thomas. Er steht vor der Tür, die Hand auf dem Türgriff. Seine Schultern sacken für einen Moment nach unten, doch er fängt sich schnell wieder. „Ich hab dir alles Nötige gegeben. Pack deine Sachen!„ Damit geht er und lässt mich in diesem trostlosen Raum zurück. Ich hätte nicht erwartet, dass es so schlimm um ihn steht. Doch anstatt etwa seinen Tod zu verhindern, arbeitet er an seinem Leben danach. Deswegen bin ich, seit den ersten Jahren, die ich in dieser Organisation arbeite, an seine Seele gebunden. Werde meine Sachen in das Haus bringen, der Standort ist bei den Leuten aus der Loge unbekannt. Mein Blick schweift durch das Zimmer, ich betrachte das Netz aus Runen und Symbolen, welches sich über alle vier Wände zieht, an der Decke ist ein riesiger Schutzkreis mit einem fünf-zackigen Stern. Die Erlebnisse des Paktes spielen sich in aller Deutlichkeit vor meinem geistigen Auge ab. Jede Einzelheit noch völlig klar zuerkennen. Wenn ich mich konzentriere, erblicke ich jeden schmutzigen Fleck an den Wänden des kleinen Holzhauses.

Von diesem Tag an soll ich dein Wächter in deinem nächsten Leben werden - und denen danach. Deiner Seele und sonst keiner werde ich dienen, in jedem Leben, in dem du mich rufst. So rufe mich und ich werde dir dienen, solange ich lebe. Die Erinnerung an diesen Schwur soll sich auf ewig in deine Seele einbrennen“, die Worte hallen noch sehr deutlich durch meinen Geist. Fast bilde ich mir ein, sein Blut auf meiner Zunge zu schmecken, getränkt von der Kraft seiner Seele. Schüttele meinen Kopf, um mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Berühre meinen Schreibtisch kurz und porte diesen zum Haus. Kurz darauf betritt Alina das Zimmer. „Ich habe gehört, du gehst schon wieder?„ Ein flehentlicher Ton schwingt in ihren Worten mit. Stoppe nicht in meinem Tun und schaffe den Stuhl mit dem Bücherregal ebenso weg wie zuvor den Schreibtisch. „Was erwartest du, das ich sagen oder tun sollte?“, stelle ich ihr die Gegenfrage. Bringt sie wohl leicht aus dem Konzept, ihrem Gesichtsausdruck nach. Werde sie nicht darüber nachdenken lassen und fahre fort: „Du weißt, wie dieses Geschäft läuft; du steckst hier schon lange genug mit drin, und selbst wenn es anders wäre, ich würde mir auch keine andere Arbeit suchen.„ Verbittert starrt sie auf den Boden und ein Zittern lässt ihre Schultern beben. Tippe als letztes kurz das Bett an und im nächsten Moment ist auch dieses weg. „Sagst du das etwa nur-?„ Falle ihr ins Wort. „Nur, weil du ein Mensch bist? Nein. Weil deine Bitten beinhalten, dass ich mich, um dir zu gefallen, als etwas ausgeben müsste, was ich nicht bin? Ja“, antworte ich ihr bestimmt und gehe auf sie zu. Bleibe eine Armlänge vor ihr stehen und warte darauf, dass sie ihren Blick wieder hebt. Ihre Kiefer mahlen und verraten ihr Unbehagen. „Warum hast du alle deine Sachen weggebracht?„ Zucke wie beiläufig mit den Schultern und erwidere nur: “Die verlegen meine Sachen auf eine Außenstelle, bis ich wiederkomme. Bis der Auftrag erledigt ist, wollen die hier alles erneuern.„ Deute auf einige der Zeichen an den Wänden. Sie presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, glaubt meinen Worten nicht. „Du kannst den Kampf nicht gewinnen.“ Jedes ihrer Wort trieft geradezu vor Verbitterung. Ein Schmunzeln stiehlt sich auf mein Gesicht. „Ich habe nicht vor, gegen Deutschland oder andere Länder zu kämpfen“, gebe ich witzelnd zurück. Ihr Blick hebt sich und sie sieht mich mit zornerfüllten Augen an. Die Hände zu Fäusten geballt, lassen Wut und Verbitterung ihren Körper beben. Seufzend fahre ich mir durchs Haar. „Diese Kreaturen werden dich ohne Zögern töten. Warum willst du gegen sie kämpfen?„ Langsam nervt dieses ständige falsche Spiel von ihr. Kann es nicht benennen, aber etwas an ihr fühlt sich falsch an. „Weil ich genau so wenig zögern werde, sie zu töten.„ Habe es schon seit geraumer Zeit als besser erachtet, ihr nicht mehr alles zu erzählen. Deshalb glaubt sie auch, dass ich einigen Wesen in der Hölle nach dem Leben trachte. „Bis wir uns wiedersehen.“ Damit lasse ich sie einfach in meinem ehemaligen Zimmer zurück und teleportiere mich zu meinem neu erworbenen Haus.


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Hikaru_Mitena

reihe/redbird/redbird_5.txt · Zuletzt geändert: 23.11.2020 08:48 von hikaru_mitena